3 Geheimnisse
3.1 Definitionen
Die deutsche wortgeschichtliche Bedeutung des Wortes „Geheimnis“ lautet: Heim, vertraut und zum Heim gehörend, „geheim“ meint: nicht für andere bestimmt. In der griechischen Religion wird unterschieden zwischen dem Unaussprechlichen (z.B: Gott) und dem, was auf Grund eines Schweigegebots geheim gehalten wird. Geheimnis und Geheimhaltung werden oft synonym verwendet, wobei Geheimhaltung auch die Mittel für die Wahrung des Geheimnisses meint. (Spitznagel, 1998)
Die folgende Aussage entspricht der inneren Haltung, die sich betroffene Personen im Umgang mit einem privaten Geheimnis wünschen: andere sollen warten, bis sie hereingebeten werden. (Ritter& Koch, 1995)
Es stehen unterschiedliche sozialwissenschaftliche Definitionen für Geheimnisse zur Verfügunung. Das Geheimnis wird laut Simmel und Bok (1958, 1982, zitiert nach Spitznagel, 1998) sehr oft als bewusstes, absichtsvolles Verbergen (concealment) verstanden. Warren und Laslett (1980, zitiert nach Spitznagel, 1998) charakterisieren es als ein Verbergen von etwas, das durch die Personen, die es nicht wissen dürfen, negativ bewertet wird.
Bakan (1954, zitiert nach Spitznagel, 1998) beschreibt die Wichtigkeit der antizipierten negativen Reaktionen anderer. Mitchell (1993, zitiert nach Spitznagel, 1998) kennzeichnet es als geleugnetes Wissen, sowie als Wissen, das verfügbar, aber ungleich verteilt ist.
Spitznagel (1998) fasst weitere Definitionen zusammen, indem die Unterdrückung einer Information als wesentliches Merkmal hervorgehoben wird. Sievers (1974, zitiert nach Spitznagel, 1998) bezeichnet das Geheimnis als einen Modus der Kommunikation. Die engste Definition findet sich bei Stok (1929, zitiert nach Spitznagel, 1998), wo nicht jedes Zurückhalten von Wissen Geheimnis genannt werden darf. Vielmehr nennt er andere Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen. Geheimnisse beziehen sich strikt auf Beziehungen, wobei der Inhalt des Geheimnisses für die Beziehung von Belange sein muss und von der Negierung der perzipierten Mitteilungserwartung abhängig ist, die der Partner hegen wird.
Lane und Wegner (1995, zitiert nach Spitznagel, 1998) kennzeichnen ein Geheimnis als absichtliche Täuschung. Diese unterscheidet sich jedoch von der Lüge. Der Kern der Täuschung ist, Sorge dafür zu tragen, dass jemand nicht in den Besitz eines bestimmten Wissens gelangt.
Das Geheimnis ist laut Spitznagel (1998) ein Sonderfall einer deceptiven Kommunikation. Daraus resultiert, dass die definierenden Merkmale von Autor zu Autor unterschiedlich sein können. Die Konsequenz ist, dass wir, wenn wir von Geheimnissen sprechen, nicht immer über das gleiche „Bild“ sprechen.
3.2 Charakteristik von Geheimnissen
Die meisten Menschen haben Geheimnisse (Bok, 1982, zitiert nach Spitznagel, 1998); diese sind für die Menschen wichtig und auch gefürchtet. Diese Betrachtungsweise unterscheidet sich von der, Geheimnisse als Ausnahmeerscheinung zu betrachten. Hier steht das amoralische Tun, das verborgen werden möchte, im Mittelpunkt der These. Hier findet sich auch die Parallele der moralischen Wertung von Lügen.
Brown (1991, zitiert nach Spitznagel, 1998) sagt, dass „Universal People“ (UP) das Sprachvermögen nicht nur brauchen, um die Sprache nicht zu benutzen und zu informieren, sondern auch um zu desinformieren. UP können mit Gerüchten und Klatsch umgehen. Weiters wird auf die ständig wachsende Sophistizierung der Professionisten hingewiesen, das Auftreten, die Funktionen, der Funktionswandel und die Mittel zur Geheimhaltung des Geheimnisses, werden immer besser erforscht.
Nach Spitznagel (1998) sind Geheimnisse an Sprache, (soziale) Intelligenz, Bewusstsein und Absichtsbildung gebunden. Hoch organisierte Tiere verwenden ebenfalls Techniken, die den Geheimhaltestrategien der Menschen nahe kommen.
Simmel (1958, zitiert nach Spitznagel, 1998) betrachtet das Geheimnis als bloße Form des Sozialen.
Kruse (1980, zitiert nach Spitznagel, 1998) kritisiert die Vernachlässigung des Inhaltlichen. Jedenfalls zeigen aktuelle Untersuchungen, dass vor allem sexualitäts- und beziehungsbezogene Inhalte geheim gehalten werden, da diese mit einem gewissen Risiko verbunden werden.
Nach Scheibe (1979, zitiert nach Spitznagel, 1998) ist nicht nur der Inhalt wichtig, sondern auch, dass bestimmte Personen von bestimmten Informationen nichts erfahren dürfen. Konstitutives Element der Geheimnisbeziehung ist der vom Wissen Ausgeschlossene. Individuelle Geheimnisse machen das Verhalten des Geheimhaltenden kaum vorhersehbar.
Individuen, Gruppen und (totale) Institutionen können Geheimnisse haben. Individualgeheimnisse hängen eng mit Elementen der menschlichen Autonomie, mit Individuation und ihrem Schutz zusammen. Der Autonomieentwicklung von Kindern und Jugendlichen wird in diesem Zusammenhang große Bedeutung zugeschrieben. Hier wird das Grenzkonzept angeführt: Ab- und Ausgrenzungen anderer von einem bestimmten Wissen als Begleiterscheinung des Geheimnisses. Bok (1982, zitiert nach Spitznagel, 1998) bezeichnet die Identität, Pläne, Handlungen und Eigentum als relevant zum Schutz der Autonomie.
Auf der Persönlichkeitsebene unterscheidet Allport (1959, zitiert nach Spitznagel, 1998) zwischen expressiven und dunklen, enigmatischen Personen.
Caspari und Tausch (1979, zitiert nach Spitznagel, 1998) haben festgestellt, dass Personen mit z.B. starken Ängsten, geringer Selbstachtung, usw. dies vor anderen Mitmenschen zu verbergen versuchen. Weiters gehen Caspari und Tausch davon aus, dass Fassadenhaftigkeit, Unechtheit, Verbergen und seelische Beeinträchtigungen zusammenhängen.
Durch die „Zwei-Welten-Konzeption“ von Simmel (1958, zitiert nach Spitznagel, 1998) vom geheimen und öffentlichen Wissen wird eine Trennung von wir und die anderen geschaffen (z.B.: Initiationsriten, Vokabularien innerhalb einer Gruppe, Ritualisierungen usw.). Geheimnisse stiften Kohärenz, die vornehmlich der Sicherheit von Gruppen und Institutionen und dem Machterhalt der Mächtigen dient.
Geheimnisse beinhalten komplexe Strukturelemente. Sie sind mit Ambivalenzen in Bezug zwischen wahren und verraten wollen und einem Konflikt zwischen „Expulsion“ und „Retention“ verbunden.
„Der, der einem anderen ein Geheimnis unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, also dem Verrat durch Einholung eines Schweigeversprechens durch einen Schwur, durch eine Drohung vorbeugen sucht, verrät selbst das Geheimnis.“
(Spitznagel, 1998, S 31)
Nach Bellmann (1984, zitiert nach Spitznagel, 1998) braucht es eine kognitive und soziale Kompetenz, um im Zusammenhang mit dem Geheimnis die Geheimhaltung zu erlernen.
Nach Piaget (1972, zitiert nach Spitznagel, 1998) sagt das Kind, was es denkt; demnach ist es außerstande, Geheimnisse zu haben. Erst mit der Erreichung der sozialisierten Sprache und der mit ihr verbundenen Fähigkeit zur Rollenübernahme ändert sich das Verhalten in Richtung auf eine zunehmende Unterscheidung von „innerer“ und „äußerer“ Welt. Gross (1951, zitiert nach Spitznagel, 1998) schreibt vom Geheimnis als Besitz, verankert in der analen Phase, bis hin zum Geheimnis als Gabe, die in der Phase nach der Pubertät verläuft. Das Mitteilen des Geheimnisses wird als die Beziehung intensivierendes Geschenk an den vertrauten Partner gesehen.
3.3 Geheimnisse besitzen eine Verlaufsstruktur
Spitznagel (1998) definiert die Verlaufsstruktur eines Geheimnisses von der Entscheidung zur Geheimhaltung bis zum Endpunkt der Lüftung, wenn Geheimnisse nicht lebenslang währen.
Nach Luhmann (1989, S 105, zitiert nach Spitznagel, 1998) beginnt ein Geheimnis bei jeder Vorsicht in Verbindung mit Kommunikation. Nach dem taxierenden Motto: „Wer schweigt, kann immer noch reden. Wer dagegen geredet hat, kann darüber nicht mehr schweigen.“
Nach Nedelmann (1995, zitiert nach Spitznagel, 1998) beginnt das Geheimnis erst mit dem Verheimlichen. Ein Ereignis wird im Kontext auf seine Mitteilungsrelevanz und deren Folgen geprüft. Hier wirken verschiedene persönliche Faktoren auf die Geheimhaltung ein. Fällt die Entscheidung zur Verheimlichung, können sich kurz- und längerfristige Konsequenzen einstellen. Diese sind z.B. vom Gefährdungspotential des Geheimnisses selbst, von der Neugier der Ausgeschlossenen, von den sozialen Fertigkeiten des Geheimhaltenden abhängig. Wird eine andere Entscheidungsalternative realisiert, verändern sich jeweils die unmittelbaren oder verzögerten Wirkungen.
Laut Spitznagel (1998) können drei Theorien des Entscheidungsverhaltens unterschieden werden:
3.3.1 Die Theorie des vernünftigen Handelns nach Fishbein und Ajzen (1975, zitiert nach Herkner, 2001)
Inhalt dieser Theorie sind die Voraussage und die Erklärung von Verhalten. Hier muss zwischen Verhalten und Ergebnis unterschieden werden. Hier sollen nicht die Ergebnisse vorausgesagt werden. Die Intention stellt den wichtigsten Verhaltensprädiktor dar, um Kategorien für Absichtsverhalten zu erschließen. Nach Fishbein und Ajzen sind Intentionen subjektive Wahrscheinlichkeiten bezüglich des Auftretens bestimmter Verhaltensweisen.
„Intentionen müssen möglichst präzise und detailliert erfasst werden. Sie sind nur dann gute Verhaltensprädikatoren, wenn sie bezüglich der genannten Aspekte (Handlung, Ziel, Kontext und Zeit) mit dem vorauszusagenden Verhalten genau übereinstimmen.“
(Fishbein & Ajzen, 1975 zitiert nach Herkner, 2001, S 216)
Ein weiterer diesbezüglicher Faktor ist die Stabilität der Intention, da diese veränderbar ist (z.B: Veränderungen, die sich im Lauf der Zeit ergeben oder es gibt Gründe zur Verheimlichung). Zwei Ursachen, von der die Verhaltensabsicht abhängt, sind die Einstellung zum Verhalten und die subjektive Norm (der soziale Druck). Beide Ursachen bestehen aus zwei Komponenten: Die subjektive Norm beinhaltet Verhaltensvorschriften wichtiger Bezugspersonen und dem Ausmaß der Motivation, diesen auch Folge zu leisten. Eigene Einstellungen werden von der Erwartung auf die Konsequenzen und deren Bewertung beeinflusst.
3.3.2 Eine weitere Theorie von Fishbein und Ajzen stellt das Modell Erwartungs-mal-Wert dar
Diese umfasst die Begriffe der Selektionsmotivation und Realisierungsmotivation (Handlungskontrolle). Bei der Selektionsmotivaton werden Prozesse umfasst, die zu einer Entscheidung, also zur Auswahl eines Ziels oder einer Handlungsalternative, führen. (Fishbein & Ajzen, 1975, zitiert nach Herkner, 2001).
Entscheidungen werden durch Berücksichtigung von zwei multiplikativ miteinander verknüpften Faktoren, dem Wert des Ziels und durch die Erwartungen, wie wahrscheinlich ein bestimmter Handlungskurs zum Ziel führt, getroffen. Kuhl und Beckmann (1983, zitiert nach Spitznagel, 1998) konnten zeigen, dass sich nicht alle Personen modell- konform verhalten, sondern auch einfachere Entscheidungsregeln heranziehen. Hier werden nur der Wert des Ziels oder die Erwartung zur Orientierung herangezogen.
3.3.3 Omission- oder Comission-Modell nach Fischer (1997)
Das Omission- oder Comission-Modell beschreibt Prozesse für Situationen, in denen eine Handlungsvermeidung einer Handlung vorgezogen wird und vice versa. Mit Handlung ist reden und mit Handlungsunterlassung ist schweigen gemeint.
Ein omission bias liegt dann vor, wenn entweder die Unterlassung zu negativeren Konsequenzen führt als die Handlung oder die Unterlassung mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu denselben negativen Konsequenzen führt wie die Handlung.
Zieht eine Person dagegen die Handlung einer Unterlassung vor, auch wenn die Handlung entweder zu negativeren Konsequenzen führt als die Unterlassung oder die Handlung mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu denselben negativen Konsequenzen führt wie die Unterlassung, spricht man von einer commission bias. Fischer (1997) spricht lieber von Omission- und Commission–Tendenzen in Bezug auf die Entscheidungspsychologie und unterscheidet nach Baron (1884, zitiert nach Fischer, 1997) konsequentialistisches bzw. nicht- konsequentialistisches Entscheidungsverhalten. Wenn nicht die unmittelbar gegebenen Konsequenzen die Entscheidung bestimmen, sondern Kontext, Werte, Ziele oder Prinzipien. Dadurch, folgert Fischer, sind Menschen besser zu verstehen:
Warum lügen wir nicht gern, auch wenn das Lügen vielleicht die besseren Konsequenzen hätte als das Nicht-Lügen? Ein Grund für viele Menschen ist hier sicherlich ein „higher order principle“- der „höhere Wert“ der Ehrlichkeit, das Gebot nicht zu lügen.
Man entscheidet sich gegen die Lüge also nicht auf Basis der gegebenen Konsequenzen (dann wäre die Lüge besser), sondern auf der Basis eines moralischen Prinzips. (Fischer, 1997, S 237)
Für nicht rationales Verhalten gibt es Einflussfaktoren, wie Art bzw. Valenz der Konsequenz, von Handlung und Unterlassung, die Zeitstruktur des Eintretens dieser Konsequenz, die wahrgenommene Verantwortlichkeit des Entscheiders oder die wahrgenommene Kausalität zwischen der Entscheidung für eine Option mit den verbundenen Konsequenzen. Fischer (1997) untersucht den kleinsten gemeinsamen Nenner - eine Invariante - der unterschiedlichen Erklärungsansätze und findet diesen in der unterschiedlichen Beurteilung der Konsequenzen.
Eine unterschiedliche Wahrnehmung und bzw. oder Bewertung hat das psychologische framing Konzept (Tversky &Kahneman, 1981, zitiert nach Fischer, 1997) zum Gegenstand und lässt folgenden Schluss für Omission bzw. Comission- Tendenzen zu: Für die Entscheidung ist die Art und Schwere der Konsequenz ausschlaggebend. Darauf aufbauend ist die Art der mentalen Repräsentationen der Grund für die Stärke der Ausprägung und durch den Kontext können diese Entscheidungstendenzen verstärkt oder reduziert werden. (Fischer, 1997)
Affekte wie Scham, Schuld, Reue oder Verlegenheit spielen sowohl als Antezedenz, als auch als Konsequenz-Bedingung bei der Entscheidung der Person, sich mitzuteilen oder eine Mitteilung für sich zu behalten, eine Rolle. Emotionen sind in allen Phasen einer Geheimhaltungsgeschichte, sowohl auf der Seite des Geheim haltenden als auch auf der der Ausgeschlossenen, mehr oder weniger schädlich. Scham über ein Verhalten motiviert Geheimhaltung, und tritt als Konsequenz bei der Lüftung des Geheimnisses und damit einhergehenden negativen Reaktionen auf. Neben den selbstreflexiven Emotionen treten in allen Phasen der Geheimhaltungsgeschichte bzw. der Lüftung des Geheimnisses weitere Gefühle, wie Angst, Unsicherheit, Stolz und Misstrauen, auf. Auch beim Anvertrauen von Geheimnissen können diese auf der Seite des Empfängers auftreten, vor allem dann, wenn jemand in ein belastendes Geheimnis hineingezogen wird. (Spitznagel, 1998).
3.4 Unterscheidung von Geheimnissen
Bedeutung hat die Unterscheidung von Sievers (1974, zitiert nach Spitznagel, 1998), der in einfache und reflexive Geheimnisse aufteilt. Bei einfachen Geheimnissen teilt der Geheimhaltende die Existenz eines Geheimnisses mit, verschweigt jedoch seinen Inhalt. Bei reflexiven Geheimnissen wird die Existenz eines Geheimnisses geheim gehalten. Hier spielen die verbalen und nonverbalen Selbstkontrollmöglichkeiten des Geheimhaltenden eine Rolle.
Eine weitere Einteilung nimmt Scheibe (1979, zitiert nach Spitznagel, 1998) vor, indem er defensive und offensive Geheimnisse von Individuen, von Gruppen und Institutionen trennt. Das Verschweigen einer persönlichen Absicht stellt ein defensives Geheimnis dar. Im Gegensatz dazu wird z. B: sich dummstellen, indem man angibt, kein Geheimnis zu haben, als offensiv verstanden.
Öffentliche Geheimnisse (Deterning, 1994, zitiert nach Spitznagel, 1998) werden jene genannt, die einem Tabu unterliegen, die man in der Mitteilung erst entschlüsseln muss (z. B: in literarisch-fiktiven Texten). Von öffentlichen Geheimnissen wird gesprochen, wenn diese allseits bereits bekannt sind, jedoch offiziell noch geheim gehalten werden. Dieses offene Geheimnis gibt es auf institutioneller Ebene in Institutionen) und auf individueller Ebene (z. B: sichtbares Zeichen von Verliebtheit).
Imber-Black (1993, zitiert nach Spitznagel, 1998) teilt in pathogene, toxische, traumatische Geheimnisse einerseits und kreative, positive auf der anderen Seite. Vergleichsweise ist das Interesse der Forschung an den kreativen Geheimnissen schwächer ausgeprägt als an den pathogenen. Hier werden in der Forschung die kohärenzstiftende Kraft in Gruppen, die bindungs- und Intimität steigernde Wirkung einer Mitteilung genannt. Gerade in der Pubertät ist es vorstellbar, dass es für die Autonomieentwicklung notwendig ist, Geheimhaltung vor und gegenüber Eltern zu üben.
Die Psychologie hat sich in besonderem Maße mit der schädigenden Wirkung von traumatischen Geheimnissen beschäftigt. Pennebaker (1989, zitiert nach Spitznagel, 1998) untersucht die Konsequenzen des Schweigens oder des Verschweigens. Nach ihm führt die längerfristige Geheimhaltung zu einer Stressakkummulation, die zu Psychosomatisierungen oder zu ungünstigen Beeinflussung des Psycho-Immunsystems führen kann. Um diese Auswirkungen zu verhindern oder zu verringern, votiert er für das Anvertrauen.
Lane und Wegner (1995, zitiert nach Spitznagel, 1998) erklären die Gefahren von negativen Auswirkungen für einen Geheimhaltenden. Die kognitiven Folgen, die sich auf zwei wechselseitig beeinflussende Faktoren zurückführen lassen: auf das Unterdrücken von Gedanken an das Geheimnis und auf gedankliche Intrusionen. Diese ergeben einen Zirkel.
Geheimnisse sind auf Grund ihrer Doppelnatur in ihrer Beschaffenheit eng mit Ambivalenzen verbunden. Dies hat zur Folge, dass der Dichotomie pathogen-kreativ mit Zurückhaltung begegnet werden soll. Eine strikte Grenzsetzung zwischen gesunden und krankmachenden Wirkungen fällt meist schwer, in extremen Fällen hat eine diesbezügliche Unterscheidung jedoch ihre Berechtigung (Spitznagel, 1998).
Für folgende Sozialformen ist die Geheimhaltung konstitutiv oder wahrscheinlich: Zweizahl und der Dritte, Intrigen, Geheime Koalition, Klatsch und Gerüchte, Denunziation, Camouflage, Familien-System, Romantische Beziehungen, Transgressive romantische Beziehung, (imaginierte) Rivalen, Eifersucht, Der Unglücksbote, Unterbindung sozialer Vergleichsmöglichkeiten
Zum oben genannten Familien-System geht Spitznagel u. a. auf die Familiengeheimnisse ein, womit er jene bezeichnet, die nicht die Familiengrenzen überschreiten dürfen.
Im Schatten der Geheimhaltung „gedeihen“ auch Verhältnisse, die für das Opfer weit reichende negative Folgen haben (Sexueller Missbrauch, Kindesmisshandlung, Aggressionen). Der Täter schweigt natürlich. Dem Opfer und dem jeweiligen „bystander“ (Mitwisser) werden Verschwiegenheit abgepresst. Diese Trias, bestehend aus Täter, Opfer und Mitwisser, unterhalten geheime Beziehungen, die auf Dauer als „degenerativ- degenerierend“ zu bezeichnen sind. (Spitznagel, 1998, S 38)
3.5 Mittel der Geheimhaltung
Durch die Einbeziehung der geheimnisbezogenen Forschung in den Bereich der deceptiven Kommunikation wurde das Wissen über die Mittel zum Geheimhalten bzw. zum Entbergen von Geheimnissen stark erweitert.
Die Wahl von Strategien hängt im Einzelfall vom Typus, von der Funktion, vom Inhalt des Geheimnisses selbst und vom interpersonellen Kontext, in das es eingelagert ist, ab. Beim reflexiven Geheimnis hängt die Wahrung des Geheimnisses vom Geheimhaltenden selbst ab. Bei einfachen Geheimnissen hängt das Bewahren auch von der Diskretionsbereitschaft des Partners (oder Adressaten) ab. Unterschiedlich fallen demnach die Strategien aus, die zum Schutz des Geheimnisses eingesetzt werden.
Bei der Funktion wird hinsichtlich der erwarteten negativen Folgen für den Adressaten einerseits (Funktion des Schutzes), und nur dem eigenen Interesse dienend, unterschieden. Demzufolge verändern sich auch die nötigen Sicherungsmaßnahmen.
Der Inhalt des Geheimnisses ist ebenso wichtig für die Wahl dieser Maßnahmen. Manche Geheimnisse sind leichter zu bewahren als andere (z.B. sichtbare Zeichen für Drogensucht vs. ein vergangenes, schambesetztes Geheimnis). Hier spielt auch die Umgebung (soziale Rahmenbedingungen) eine Rolle, da es z.B. in einer misstrauischen Umgebung sophistiziertere Schutzstrategien braucht, als in einer ahnungslosen Umgebung.
Generalisierend wird angenommen, dass mit der Abnahme der sozialen Distanz zwischen Wissendem und dem vom Wissen ausgeschlossenen, die Anforderungen an das strategische Verhalten, an deceptive Kommunikationsleistung steigen, um das Ziel (Schutz des Geheimnisses) zu erreichen. Hier werden nonverbale und verbale Techniken im Zusammenhang mit aktuell ablaufenden Interaktionen eingesetzt. Der Autor merkt an, dass eine ähnliche Differenzierung für den Outsider, den, der das Geheimnis lüften möchte, notwendig wäre. (Spitznagel, 1998)
In der Definition von Lane und Wegner (1994, zitiert nach Spitznagel, 1998) ist es unbezweifelbar, dass zur Geheimhaltung vom Geheimhaltenden ein komplizierte Überbau von Schutzmaßnahmen vorhanden ist.
Nach Rumelhart (1983, zitiert nach Spitznagel, 1998) können die Geheimhaltungsstrategien in defensive und offensive eingeteilt werden. Das Schweigen oder Verschweigen zählen zu den defensiven Geheimhaltungsstrategien. Lügen, Verstellen, Verraten, und viele mehr (u.v.m.) gehören eher zum offensiven Formenbereich. Große Umsicht, Weitblick, Selbstdisziplin, hohe Gedächtnisleistung und soziale Empathie werden vom Geheimhaltenden verlangt. Die Rolle des Verschweigens im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern wird dem Geheimnistyp „destruktives Geheimnis“ zugeordnet.
3.6 Bedeutsame Geheimnisse
Für Van Manen und Levering (2000) sind Geheimnisse keine Sache, sondern vielmehr verstehen sich Geheimnisse und die Praktiken der Geheimhaltung als Beziehung stiftende Erfahrungen zwischen Menschen. Für die Autoren leitend sind die Herkunft des lateinischen Wortes „secretus“ (getrennt, reserviert, verborgen) und der etymologische Aspekt, der auf die signifikante zwischenmenschliche Bedeutsamkeit hinweist. Sie unterscheiden drei manifeste Formen von Geheimnissen und Geheimhaltung:
Existentielle Geheimnisse nennen sie den Menschen selbst, das Mysterium - ein existentielles, nie gänzlich aufklärbares Geheimnis.
Kommunikative Geheimnisse hängen mit existentiellen Geheimnissen zusammen und unterscheiden sich von ihnen dadurch, dass man dem anderen etwas vorenthält, etwas nicht gänzlich ausdrücken kann (z.B. Gefühle und Gedanken des kleinen Kindes, die es noch nicht auszudrücken vermag).
Persönliche Geheimnisse haben Konsequenzen für zwischenmenschliche Beziehungen, es werden bestimmte Dinge den anderen vorenthalten. Nicht mitgeteilte Geheimnisse beeinträchtigen die Beziehung von Menschen, indem sie weniger offen, weniger intim und weniger spontan werden, wohingegen bei der Mitteilung von Geheimnissen die Beziehung noch intimer, enger und transparenter wird.
„Geheimnisse sind immer relational, bezogen auf zwischenmenschliche Beziehungen genauso wie auf das Verhältnis, das man zum eigenen „inneren Ich“ oder zu seinem Innenleben hat.“
(Van Manen & Levering, 2000, S 24)
Durch die Charakteristik von Geheimnissen (Zurückhaltung oder Geheimhaltung) testen Menschen ständig zwischenmenschliche Grenzen aus (Intimbereiche, definieren Beziehungsqualitäten). Als eine Geheimhaltungsstrategie wird die Dissimilation (Heuchelei) angeführt, hier täuscht man etwas (z.B. durch ein falsches Äußeres) vor. Van Manen und Levering setzen auf die Wichtigkeit der Geheimnisse als typische Kindheitserfahrung, vor allem für die Entwicklung und für die pädagogische Förderung der Kinder. Schuld, Scham und Verlegenheit werden im Zusammenhang mit Geheimhaltung und dem Preisgeben von Geheimnissen genannt, vor allem bei der Bloßstellung in der Öffentlichkeit. Das Gefühl der Scham entsteht sowohl bei einer Fehlhandlung als auch bei dem Wissen darum, deshalb hat Scham mit Moral zu tun.
„Die Identität einer Person liegt in der Geschichte, die das Ich erzählt“.
(Ricoeur 1992, zitiert nach Van Manen und Levering, 2000, S 116)
Dieses Ich-Konzept, das mit ständiger Neuinterpretation seiner Vergangenheit beschäftigt ist (in Form von Geschichten), organisiert so seine Identität (biografische Selbstsuche). Geheimnisse hängen mit Selbsterfahrung und persönlicher Identität zusammenhängen, mit einer Vielfalt von Geheimnissen korrespondieren verschiedene Bedeutungen von Identität. Geheimnisse setzen ein komplexes, dynamisches, einer Veränderung unterworfenes Ich voraus. James (1950, zitiert nach Van Manen und Levering, 2000) unterscheidet drei verschiedene Aspekte des Ich:
- das empirische Ich (das Ich wird materiell oder körperlich erfahren)
- das soziale Ich ( variiert mit den Beziehungen)
- das seelische, spirituelle Ich (das kernhafte, innerste, wahre Ich, impliziert Moral und Willensstärke)
Geheimnisse können durch gesellschaftliche Bedingungen und Kulturen gefördert und verhindert werden. Völlige Offenheit wird als fast unmöglich, auf Grund der Voraussetzung des Verstehens, betrachtet. Das Verstehen von sich selbst und anderen wird als laufender Prozess gesehen. Geheimnisse und Privatheit sind außergewöhnliche, wesentliche Vorkommnisse, die unseren kommunikativen Alltag modulieren. Die Erfahrung von Geheimnissen bzw. die Unmöglichkeit von Geheimnissen werden als unabdingbar relational betrachtet, wie folgendes Zitat zeigt:
„Wir verbergen manchmal (durch Vorspiegelung, Simulation, Vortäuschung, Lüge) einen Teil unserer Gedanken- und Gefühlswelt, aber nicht für uns allein, sondern Prozesse des Zeigens und Verbergens sind zutiefst relational, und oftmals erkennen wir die Tragweite und Bedeutungen von Geheimnissen nur dann, wenn wir mit anderen interagieren, vor denen wir sie zu verbergen wünschen.“
(Van Manen und Levering, 2000, S 122)
3.7 Geheimnisse als Schweigehandlung
Bellebaum (Bellebaum, 1992) sieht Schweigen als soziales Handlungsmuster. Bedeutung hat das Schweigen, weil auch das Schweigen eine Handlung ist und infolgedessen auch mit Schweigehandlungen etwas ausgedrückt wird. Jedoch ist es erforderlich, den Sinn der nicht gesprochenen Botschaft richtig zu deuten. Unterschieden werden sechs Faktoren, die Schweigehandlungen interpretierbar machen: Situationen, Beteiligte, Typen, Inhalte, Ursachen und Funktionen.
Zahlreiche Situationen, Anlässe und Umstände können dazu führen zu schweigen oder verhüllend sprechend etwas zu verschweigen, die unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden können. Als drei mögliche Typologien nennt er: Lebensbereiche und Handlungsfelder, Bedeutungsursachen und die Sozialdimension
Die Funktionsbestimmung des Schweigens kann entweder schlicht getroffen werden, indem man nach Lebensbereichen und Handlungsfeldern unterscheidet, oder eine komplexere Betrachtung, die fünf Funktionen beinhaltet, heranzieht: schweigen verbindet und isoliert, schweigen heilt oder verletzt, schweigen offenbart und verdeckt, mit Schweigen wird zugestimmt oder abgelehnt, schweigen deutet auf Aktivität oder Inaktivität hin.
Die Funktion des Schweigens kann noch weiter differenziert als kommunikative Absicht gedeutet werden: ablehnendes Schweigen und zustimmendes Schweigen, das Rollenverhältnis und die evokative Funktion. Letztere ist wichtig in der Psychotherapie, um Wirkungen des Schweigens in strategischer und heilender Absicht zu nutzen.
Die allgemeine Umschreibung des Wortes Geheimnis hat verschiedene Bedeutungen und es gibt gute und böse Zwecke. Es gibt vorgegebene Maßstäbe dafür, was nach Ansicht der Menschen privat ist, Inhalte die negative Reaktionen hervorrufen und Scham, Verlegenheit und Schuldgefühle verursachen.
„Was geheim gehalten wird, ist zeit-, kultur- und gruppenspezifisch variabel.“
(Bellebaum, 1992, S 87)
Nicht nur durch Schweigen kann etwas geheim gehalten werden, die Möglichkeiten, das Geheimnis aufrecht zu erhalten, sind: Themenwechsel, Mitwisserschaft, begrenzte Kumpanei, Lügen und reaktive Abwehrlügen.
Als zwei Arten der als dunkel bezeichneten Geheimnisse werden einfache und reflexive unterschieden. Beim einfachen Geheimnis geht es um den Inhalt des Geheimnisses, die entscheidende Tatsache. Bei den reflexiven Geheimnissen geht es um die Verheimlichung selbst, die gelernt sein will.
„Reflexiv heißt diese Geheimhaltung deshalb, weil man nicht spontan – unbefangen – vertrauensselig - unreflektiert etwas verheimlicht, sondern die Vor- und Nachteile einer Geheimhaltung, einschließlich wahrscheinlicher und möglicher Reaktionen des Adressaten, berücksichtigt.“
(Bellebaum, 1992, S 97)
Das Schweigen der Öffentlichkeit über bestimmte Tabuthemen unterliegt Veränderungen. Die Mauern des Schweigens werden von Organisationen (z.B. Kinderschutzbund, Frauenbewegung) meist negativ bewertet, die Überwindung dieser Mauern propagiert. (Bellebaum, 1992)
Bradshaw (1997) nennt als stärksten Ich-Abwehrmechanismus das dunkle Geheimnis eines Missbrauchs in der Kindheit, wobei dieses Geheimnis zwei Geheimnisse inkludiert. Zum einen ist das die wahre Begebenheit, zum anderen der Zwang, die Eltern zu schützen. Der Zwang des Kindes, die Eltern zu schützen, kommt aus der Grundlage, sich nicht mehr an die Wahrheit zu erinnern.
Die Schädlichkeit von Geheimnissen wird nach ihrer Schwere und nach ihrem krankmachenden Potential kategorisiert. In der Konsequenz gilt für den Autor seine Einteilung als Richtlinie für die Enthüllung. Geheimnisse ersten und zweiten Grades sind immer schädlich, hier sind die Enthüllung und die Auseinandersetzung erforderlich. Ebenfalls schädlich bezeichnet Bradshaw Geheimnisse dritten und vierten Grades, den Umgang mit der Geheimhaltung hält er vom Gesamtkontext abhängig. Geheimnisse vierten Grades nennt er für die Betroffenen leidvoll, jedoch ist hier die Abgrenzung zur Privatangelegenheit eventuell schwierig.
3.7.1 Geheimnisse zum Schutz der Identität
Keller (2007) formuliert in ihren Studienergebnissen über die lebensgeschichtliche Bedeutung von Geheimnissen ebenfalls konkrete Motive für Geheimhaltung auf Basis des Schutzbegriffes.
Drei Kategorien von Geheimnistypen wurden auf Basis von narrativen Interviews generiert: Geheimhaltung zum Schutz vor unerwünschter Beeinflussung des eigenen Lebensstils, Geheimhaltung zum Schutz der eigenen Identität und Geheimhaltung aus Pragmatismus.
Ein rein altruistisch motivierter Schutz einer geliebten Person wurde in den Ergebnissen der Untersuchung von Keller (2007) nicht festgestellt. Ausschließlich eine von 16 interviewten Personen hatte Gewalt- und Missbrauchserfahrung und behielt dieses Familiengeheimnis für sich. Bis zum Interview für die Untersuchung der Autorin hatte diese Person mit dem Familiengeheimnis vorher noch niemals über das Geschehene gesprochen. Diese Frau wurde in den zweiten Geheimhaltungstyp, Geheimhaltung zum Schutz der eigenen Identität, eingeordnet. Neben der Erzählung von Gewalt in der Familie steht im Vordergrund ihres Lebensberichts, dass sie in der Jugendzeit Lügen ihren Eltern gegenüber anwandte, um mit ihren Freunden, die sie niemals anlügen würde, Zeit verbringen zu können. Damit wahrt sie den Schein, sich an die strengen Familienregeln zu halten und somit trugen Geheimnisse grundlegend zu ihrer heutigen Identität bei.
„Diese bestimmt sich in erster Linie durch ihre Partizipation an Bereichen, die sie nicht in der Öffentlichkeit ihrer Familie ausleben kann. Daher müssen ihre Geheimnisse als für sie lebensnotwendig und notwendig für ihre jetzige Identität gesehen werden“.
(Keller, 2007, S 285)
3.7.2 Geheimnisinhalte
Für Bok (1984, zitiert nach Keller, 2007) kann alles zum Gegenstand eines Geheimnisses gemacht werden. Schwankend zwischen dem Bedürfnis der Mitteilung oder des Verschweigens bestimmter Inhalte werden Gründe innerpersonell und innerfamiliär abgewogen. Die Gründe, ein Geheimnis zu bewahren, sind Scham- und Schuldgefühle, Reue und Angst vor negativen Sanktionen des sozialen Umfeldes. Gründe für das Mitteilen der Geheimnisinhalte können der Wunsch nach Erleichterung, nach Prestige und das Ausräumen von Missverständnissen, die in Zusammenhang mit der Aufdeckung des Geheimnisses entstanden sind, sein. (Keller, 2007)
Geheimnisse an sich und Geheimnisinhalte werden, abhängig von der Person, die die Unterscheidung vornimmt, nach negativen und positiven Inhalten unterschieden.
„Negativ konnotierte Geheimnisse belasten, wodurch sich der Geheimnisträger zum Lügen oder Verschweigen genötigt fühlt“.
(Keller, 2007, S 64)
Die Familie stellt in unserer Gesellschaft eine spezifische Gruppe dar. Deshalb sind es die Familiengeheimnisse, die im Zusammenhang mit Geheimnissen interessieren, da die Mitglieder durch Loyalitätsgefühle und Vertrauenspotentiale verbunden sind. Der Umgang mit Geheimnis und Geheimhaltung wird innerfamiliär erlernt, mit dem Ziel, die Ordnung der Familie vor störenden Inhalten zu schützen.
Auf den folgenden Seiten werden die Gründe, warum sich Erwachsene als kindliche Opfer an ein Schweigegebot gehalten haben, differenzierter dargestellt.
Als Ergebnis der Studie von Ritter und Koch (1995) über sexuelle Gewalt in der Kindheit, die in Form biografischer Interviews durchgeführt wurde, wird als Ursache des Schweigens an oberster Stelle das Gefühl genannt, einen anderen Menschen schützen zu müssen. Durch das Schweigen werden nicht nur die Täter, sondern auch die Mütter, wenn die Täter Familienmitglieder sind, geschützt.
So verhinderte die Beziehung zum Täter, die durch Loyalität, Liebe und auch Mitleid getragen wurde, das Sprechen über den Missbrauch. Die Betroffenen befanden sich in einer fatalen Beziehungsfalle, die sie isolierte von dem wohltuenden und heilsamen Sprechen über die traumatische Erfahrung. Über ihr eigenes Leid stellten bereits die kleinen Mädchen die Sicherheit des Täters. (Ritter, Koch, 1995, S 113)
Kinder übernehmen die Verantwortung für das Familienglück, da sie sich als stärker empfinden, als sie ihre Mütter erleben, und daher möchten sie diese vor der Erkenntnis schützen, dass der Partner seine Position in der Familie missbrauchte. Die Gründe für den Schutz von Vater/Täter und Mutter, die sich im Untersuchungsergebnis zeigten, sind strukturell ähnlich, indem die Bedürfnisse anderer Familienmitglieder als höher eingestuft werden und den Kindern dadurch wichtiger erschienen. Durch die Befürchtung, dass andere Menschen die Geheimnisinhalte nur schwer ertragen bzw. gar nicht mit der Erzählung umgehen können (Ritter, Koch, 1995), werden auch potentielle Ansprechpartnerinnen von den Kindern geschützt.
Der Schutz der gesellschaftlichen Position der Familie, die Illusion, eine intakte Familie zu haben und Abhängigkeitsgefühle der Familie vom Täter sind Gründe, warum Kinder die Familie mit dem Schweigen beschützen wollen. Der Aspekt des Schutzes zeigt eine Rollenumkehrung in Beziehungen: die Kinder schützen Erwachsene vor dem Geheimnisinhalt der sexuellen Gewalt.
„Betroffene Mädchen werden wieder stumm, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass ihre Berichte bei ihrem Gegenüber Erschrecken und Hilflosigkeit auslösen. Auch hier sondieren die Mädchen genau, wie belastbar die Erwachsenen sind und was sie ihnen zumuten können.“
(Ritter, Koch, 1995, S 115)
Die Angst vor möglichen Konsequenzen sind der zweitgrößte Komplex der Ursachen für Geheimhaltung, laut der Studie von Ritter und Koch. Ein direktes Redeverbot an die Kinder durch den Täter bzw. der Mutter kann der Grund für das Schweigen sein. Drohungen und direkte autoritäre Anweisungen, das Geheimnis für sich zu behalten, bringen die Kinder dazu, dem Schweigegebot zu gehorchen. In diesem Fall schützen sie sich selbst, da sie befürchten müssen, durch Verrat ihre Situation noch zu verschlimmern. Hier ist von besonderem Interesse, dass neben Ängsten vor den Folgen und erwartete Schuldzuweisungen auch antizipierte Ängste vor Todesstrafe vorkommen.
„Deutlich wird hier die Allmacht, die die Mädchen den jeweiligen Männern zuschrieben: in keinem dieser Fälle droht der Täter direkt mit Gewalt oder Tod“.
(Ritter, Koch, 1995, S 115)
Ebenfalls antizipiert wird das Unvermögen der Umgebung im Umgang mit der - einer Durchbrechung der Schweigemauer - sich ergebenden Situation. Eigene Schuldgefühle, ein diffuses Gefühl schweigen zu müssen, Zweifel an der eigenen Wahrnehmung, Regeln innerhalb der Familie, Scham und dadurch entstehende Isolation verhinderten die Preisgabe des Geheimnisses der erlebten sexuellen Gewalt. Durch diese große Anzahl von Gründen fühlten sich die Frauen in der Studie durch das überall lauernde Gespenst der ungewollten Aufdeckung bedroht. Es gab in deren Erinnerung keinen ausdrücklichen Wunsch, über das Geschehene zu sprechen. Das Bedürfnis lag vorerst darin, die Aufmerksamkeit auf ihre Situation zu lenken, dies wurde jedoch eher nonverbal versucht. (Ritter, Koch, 1995)
Bange (1998) stellt fest, dass sexueller Missbrauch ein Verbrechen ist und dass dieses meist im Geheimen stattfindet. Meistens werden die Kinder dazu gezwungen, nicht über ihr Erleben zu sprechen. Es ist eher so, dass der Weg der Hilfe von einem Erwachsenen damit beginnt, dass er auf ein Kind aufmerksam wird, indem er etwas beobachtet. Jedoch bleibt die Aufmerksamkeit für ein Kind nicht lange bestehen und die Hilfe setzt sich nicht fort.
Zum Dauerthema der Medien entwickelt sich der sexuelle Missbrauch an Kindern in den folgenden Jahren erst durch immer neue spektakuläre Erkenntnisse, die der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden.
Seit 1980 erfährt die Öffentlichkeit von spektakulären Fällen und Gerichtsverhandlungen durch die Medien.
„Zwar gab es zuvor mit gewisser Regelmäßigkeit wissenschaftliche Kontroversen über dieses Thema, doch nahm die Öffentlichkeit davon wenig Notiz.“
(Bange, 1998, S 307)
Der Autor weist darauf hin, dass die Täter neben dem Verbot, jemandem vom sexuellen Missbrauch zu erzählen, vor allem die emotionale Bedürftigkeit der Kinder ausnutzen. Im Vordergrund dieser manipulativen Strategien von Tätern stehen Aufmerksamkeiten für das Kind, Liebesbeteuerungen und Lügen über Normen und Moral. Ziel der Täterinnen und Täter ist es, Kinder in die Isolation zu zwingen, damit diese das Geheimnis über Gewalt bewahren. Diese Strategien treffen meist genau auf die bestehenden Ängste bei Kindern: denn diese antizipieren negative Folgen bei der Aufdeckung des Geheimnisses. (Bange, 1998)
Es kommt nicht selten dazu, dass im Verlauf der Interventionen bei der Entdeckung eines Verbrechens, Kinder die Anschuldigungen zurück nehmen. Gründe für die Rücknahme von Beschuldigungen durch Kinder sind: Druck vom Täter, Druck durch die Familie, negative persönliche Konsequenzen, Videomitschnitte, juristische Verfahrensschritte, Ermittlungen durch die Polizei. Deshalb kann die Aufdeckung eines Geheimnisses über sexuellen Missbrauch ein Prozess sein, der nicht linear verläuft.
„Auch um sexuell missbrauchte Kinder besser zu verstehen, müssen die Schwierigkeiten bei der Aufdeckung sexuellen Missbrauchs intensiver erforscht und bekannt gemacht werden.“
(Bange, 1998, S 316)
3.7.3 Die Geheimhaltung von Emotionen
Finkenauer und Rime (1998) nehmen die Geheimhaltung von Emotionen in den Fokus ihrer Untersuchung, wobei sie dies als soziales Phänomen bezeichnen. Im so genannten „Social Sharing“ werden bedeutsame Erlebnisse, die mit Emotionen einhergehen, mit anderen geteilt. Von Social Sharing spricht man, wenn das Hervorrufen der Emotionen in einer mit anderen geteilten Sprache vorkommt und mit einem vorhandenen Adressaten geteilt wird. Dieser Adressat kann auch auf symbolischer Ebene vorhanden sein, wie zum Beispiel das Tagebuch.
In einem nur geringen Prozentteil ihrer Untersuchungsergebnisse wird nicht von den Ereignissen, wo Emotionen hervorgerufen werden, gesprochen. Dies befinden die Autoren als bedeutsam, da sich nicht verbalisierte Emotionen nachteilig auf die Gesundheit auswirken können.
„Nicht über die Inhalte emotionalen Erlebens zu sprechen, verhindert außerdem die Verarbeitung des Ereignisses, was zur Folge hat, dass das nicht verarbeitete Material in Form von instrusiven Gedanken und Träumen wieder auftaucht.“
(Finkenauer und Rime, 1998, S 182)
Eine weitere Erklärungsmöglichkeit für den Zusammenhang von Geheimhaltung und Unwohlsein ist die benötigte Anstrengung, die einer Geheimhaltung bedarf. Stress, zum einen verursacht durch die Sorge, welche Konsequenzen eine Entdeckung des Geheimnisses hätte und zum anderen Stress, entstehend durch das nötige Verhalten, um eine Entdeckung zu verhindern. Diese zwei Ursachen für Stressempfindung schließen sich weder aus, noch sind sie unabhängig voneinander.
„Zum einen ist ihre Differenzierung für die Entwicklung therapeutischer Interventionen wichtig, da sich diese auf die Verarbeitung des Geheimnisses, die Sorge um die Konsequenzen einer Entdeckung oder beides konzentrieren können. (...)“
( Finkenauer und Rime, 1998, S 183)
Im Vergleich von emotionalen Situationen, die mit anderen geteilt werden, und solchen, die geheim gehalten werden, gibt es folgende Ergebnisse: Geheim gebliebene Erlebnisse gehen mit mehr Schuld- und Schamgefühlen, einem stärkeren Verantwortungsgefühl und mehr Tendenzen, Emotionen schon während der Situation zu verbergen, einher. Bezüglich intrusiver Gedanken oder Unterdrückung wurden jedoch in der Untersuchung der Autoren keine Unterschiede festgestellt.
Geheimhaltung ist ein soziales Phänomen. Die Antizipation der Enthüllung veranlasst eine Person, die Risiken zu evaluieren und führt dann zu Regulationsprozessen der Emotionen im Zusammenhang mit der Geheimhaltung. Die potenzielle Enthüllung des Geheimnisses zieht mehr Konsequenzen für andere Personen und für die Beziehung mit sich als das Mitteilen des Geheimnisses. Die Autoren fanden im Vergleich von zwei Versuchsgruppen, dass die Vorteile beim Mitteilen und beim Geheimhalten gleich hoch angegeben werden, jedoch gaben die Personen mit der Geheimnisbedingung wesentlich mehr Nachteile als Vorteile an.
„Scham, Schuld, Verlegenheit oder Unbehagen wurden bei der potentiellen Enthüllung in der Geheimnisbedingung als sehr viel intensiver beschrieben als bei der wirklichen Enthüllung in der Mitteilungsbedingung.“
(Finkenauer und Rime, 1998, S 191)
Ausgehend von spezifischen Situationen, die mit Geheimhaltung assoziiert werden, also die mit sozialen Gefühlen wie Scham, Schuld und Verantwortungsgefühle verbunden sind und schon in der Situation mit Verbergen dieser Emotionen einhergehen, verweisen die Autoren auf folgenden bedeutsamen Schluss:
Die Geheimhaltung verhindert eine Assimilation und ein Verständnis über das Geschehene. Anstrengungen, die mit der Geheimhaltung einhergehen (aus Sorge um aversive soziale Konsequenzen), haben ebenfalls negative Auswirkungen auf physiologische Prozesse.
Zusammenfassung
Um den nächsten Teil meiner Fragen aus dem Vorwort zu bearbeiten (B: Wie spricht man mit Kindern über Gewalt? Wie kann die Problematik der Kindeswohlgefährdung offenkundig im Hinblick auf Geheimhaltung der Gewalt und der damit verbundenen Gefühlen werden?) liegt der Fokus auf der Kommunikation über verborgene Geheimnisinhalte und den damit einhergehenden geheim gehaltenen Emotionen der Familienmitglieder.
Individuelle Familiengeheimnisse, Mythen, Regeln, Tabus und die familiäre Struktur, die zum Geheimnis geführt haben, sind ausschlaggebend dafür, ob die Geheimhaltung aufrechterhalten wird und welche Problematiken im Laufe einer Kommunikation mit Außenstehenden sichtbar werden. Gefühle sind zweckdienlich, um bestimmte Konfliktinhalte, die ein hohes Risiko für die Person und ihre Umgebung beinhalten, geheim zu halten. Diese Gefühle dienen dem Schutz riskante Inhalte nach außen zu verbergen und haben ebenfalls eine starke Signalwirkung nach außen. Um dieser Signalwirkung nach außen entgegenzustehen, werden demnach unterschiedliche Mittel der Geheimhaltung notwendig, da sich der Druck von außen auf das bereits vorhandene Risikopotential konzentrieren würde und sich die bisherige problematische Stabilität hin zu einer Instabilität verschlechtert.
Diese Familiendynamiken können im Rahmen der Prävention aufgenommen werden, denn die Signalwirkung der Gefühle und die daraus resultierende verbale und nonverbale Kommunikation wird dadurch von „außen“ erfassbar. Scham, Schuld und Schuldgefühle werden immer wieder als stille Emotionen und Loyalität als unsichtbare Bindung erwähnt. Durch die bewusst gestaltete Aufmerksamkeit von außen (mittels Prävention, Intervention und Rehabilitation – alles Anteile psychotherapeutischer Versorgung) kann Krisenintervention erfolgen, ohne vorerst die genauen Geheimnisinhalte erfassen zu können. Schamvolle Geheimnisse wirken sich, wie sich im Verlauf einer Krise zeigt, vorerst druck- und spannungsvoll in der Person selber auf den Körper aus und sind gleichzeitig der Motor für die Kommunikation auf dem Weg zur Stabilität.
Gewaltproblematiken induzieren Krisen: da Gewalt der Geheimnisinhalt ist oder Gewalt der Ausdruck dafür ist, andere tabuisierte Informationen zu verbergen. Die unterschiedlichen Aspekte der Gefährdung werden zur Differenzierung der Risikofaktoren der Kindeswohlgefährdung (basierend auf der Grundlage JWG § 37) eruiert:
- um zeitnah auf die bestehenden Risikofaktoren eines Geheimnisses mittels Intervention Einfluss zu nehmen (die „Aufgabe Kindeswohlgefährdung“ setzt dem Elternrecht eine Grenze).
- Hilfe kann sich nur am Gefährdungszusammenhang orientieren: Interventionsmöglichkeiten sollen so angeboten sein, dass diese der Wahrscheinlichkeit einer Veränderungsmöglichkeit der Familie Rechnung tragen können (das Ziel ist die Hilflosigkeit des Kindes und seiner Bezugspersonen zu verändern).
Das Wissen um die Entstehungsgeschichte und Wirkungsweise von Scham, Schuld und Angst ermöglicht es, Präventionsprogramme zu konkreten Problematiken zu entwickeln. Da Geheimhaltung stark mit Gefühlen korreliert, können wir Geheimnisse für die Gewaltprävention als Einflussfaktor festlegen. Die Funktion geheim gehaltenener Gefühle ist analog zur Funktion der Geheimhaltung zu sehen, gewissermaßen verschränken sich hier intra- und interpersonelle Aspekte zu einer Komplexität – zu einem Bild der Familie und den einzelnen Personen, die zum Zustandekommen der problematischen Situation Beiträge geleistet haben.
Von Opfern werden Aspekte des Schweigens nicht nur als destruktiver Versuch, die Geheimnisinhalte zu bewahren, sondern auch als konstruktiver Versuch, die eigene Situation und die Situation von Familienmitgliedern nicht zu verschlimmern, beschrieben. Meines Erachtens ist dies der Ausdruck von reflexiver Geheimhaltung (Kinder verschleiern ihr gesamtes Ausdrucksverhalten, damit niemand ein Geheimnis erahnt und bleiben isoliert), die auf Grund ihrer Hilflosigkeit vorerst notwendig ist. Die Schweigehandlung wäre dann als Mittel zur Geheimhaltung des Geheimnisinhaltes für die Schutzintervention zu beurteilen und weist darauf hin, dass schädigende Bedingungen in der Familie vorherrschen. Antezedenz- und Konsequenzbedingungen der Geheimhaltung stellen die relevanten Gesprächsinhalte in der Krisenintervention dar.
Die Funktion der Gefühle gewährleistet die Möglichkeit, sinnstiftende Kommunikation mit der Person, um die es geht, führen zu können, auch wenn die Wirkungsfaktoren der Gefühle ebenfalls sprachlich noch verborgen werden. Die dissoziative Möglichkeit, im Kontext der Prävention generell und sachlich über Gefühle (einschließlich der geheim gehaltenen) zu sprechen, über Entstehung und Wirkungsweisen dieser Gefühle zu informieren, ermöglicht schrittweise eine assoziative Kommunikation über Geheimnisse – vorerst, um die assoziative Nähe der Person zu den eigenen Gefühlen in Verbindung zum Geheimnis zu erfassen.
Da Geheimnisse einen charakteristischen Verlauf haben, wird es möglich, die Kommunikation sinnstiftend zu lenken, auch wenn alle Schutzfunktionen vorerst von der Person aufrechterhalten werden müssen. So wie Geheimnisse gelüftet werden wollen, möchte auch die Scham, da sie sich wie kein anderes Gefühl so nahe an der Person selbst befindet, nach außen dringen können, um sich zu wandeln. Nicht das schützende Tabu ist die Orientierung für die beruflichen Interventionen, wo Intimitätsgrenzen einer Familie zu wahren wären, sondern die Kommunikation verläuft entlang einer Annäherung an das angst– und schambesetzte innerfamiliäre Tabu. In einer sinnstiftenden Kommunikation wird die Familie dabei begleitet. Die aufgefundenen Thematiken werden anhand von differenzierten Aspekten (intra- und interpersonelle Mittel der Geheimhaltung) exploriert, um die bereits bestehenden Risikofaktoren zu erkennen und zeitnah bewerten zu können:
Kindeswohlgefährdung im Sprachgebrauch der Transdisziplinarität steht im Zusammenhang mit komplexem Wissen über die Umsetzung von Schutzinterventionen. Der Präventionskontext Kinderschutz beinhaltet:
- die Schamthematik im Zusammenhang mit Normen und
- Affekte sollen während eines Krisengespräches spürbar werden, da dies der gesundheitspräventive Aspekt der Kommunikation ist.
Daraus ergeben sich die notwendigen zukünftigen Schutzfaktoren (zum besseren Verständnis nenne ich diese Ressourcen), die zu aktivieren nötig werden, um das Risiko einer zukünftigen Gefährdung innerfamiliär auszuschließen. Sind diese Ressourcen nicht in der Familie vorhanden, werden im Bedeutungskontext Kinderschutz jene eigenen Ressourcen aktiv, um ein zukünftiges Risikopotential in der Familie ausschließen zu können. Auf einem Kontinuum von einem Punkt - dem Risiko in der Familie - und dessen Gegensatz - die Ressourcen der Familie für Sicherheit sorgen zu können – eine Bewertung zu treffen, liegen die Thematiken, auf die sich Kommunikation bezieht: die zu initiierenden Veränderungsprozesse.
Stellen sich im Rahmen der Krisenintervention gravierende Probleme als nicht veränderbar dar, muss eine andere Möglichkeit, ein anderer Kontext als der bisherige gefunden werden, um der Person mit dem Geheimnis dennoch kommunikativen Anschluss bieten zu können. Kinderschutz fungiert als Begrenzungsmacht, um einen familiären Machtkontext zu verändern und unterscheidet hierbei zwischen physischen Schutzmaßnahmen und Risikofaktoren, die in der Person, die geschützt wird, noch weiterhin wirksam bleiben. Hierzu zähle ich weiterhin geheim gehaltene Bedingungen, die das emotionale Milieu des Kindes in seiner Familie betreffen.