5 Gesundheitsprävention und Prophylaxe

Die lateinische Bezeichnung für Prävention bedeutet Zuvorkommen, die griechische Bezeichnung für Prophylaxe bedeutet vorbeugende Maßnahme, Verhütung.

Hafen (2007) versteht unter Prävention jene Interventionsversuche, die beim Individuum oder seinen sozialen Systemen ansetzen mit dem Ziel, noch nicht bestehende Probleme zu verhindern. Der Autor zieht den Begriff der Prävention dem Begriff der Gesundheitsförderung vor, obwohl weder formale, funktionale noch methodische Unterschiede vorliegen:

  • Präventive spezifische Maßnahmen sollen unterschieden werden von der Gesamtheit aller Maßnahmen
  • Prävention definiert, was mit den zur Diskussion stehenden Maßnahmen verhindert werden soll. Daher ist die konkrete Planung der Maßnahmen und ein Anschluss an etablierte Begriffe wie z.B. Kriminalprävention möglich
  • Wird der Begriff am Problem oder an der Krankheit orientiert, lässt sich auch der Übergangsbereich von präventiven zu behandelnden Maßnahmen exakter erfassen
  • Da der Gesundheitsbegriff immer über eine Gegenseite (z.B. ein Problem) zu definieren ist, sind die Risiko- und Schutzfaktoren aufzuzeigen, über die das Auftreten der zu verhindernden Probleme beeinflusst werden kann
  • Aktuelle, als verbesserungswürdig empfundene Schutzfaktoren- Defizite müssen dem zukünftigen, verbesserten Zustand gegenübergestellt werden, um Maßnahmen auch evaluieren zu können
  • Bei Maßnahmen zur Gesundheitsförderung wird die Gesundheit nicht aktiv gefördert, sondern Maßnahmen tragen zur Erhaltung der Gesundheit bei

5.1 Die Differenzierung von Präventionsmaßnahmen

Hafen (2007) benutzt Präventionsbegriffe, wo Prävention, Früherkennung und Behandlung unterschieden werden.

Als Prävention sind Maßnahmen zu verstehen, die zum Ziel haben, ein noch nicht aufgetretenes Problem zu verhindern. Alle Maßnahmen, die ein manifestes Problem als Anlass haben, werden der Behandlung zugerechnet. Als Früherkennung/Frühbehandlung sind alle Maßnahmen zu bezeichnen, die zum Ziel haben, ein beobachtetes Problem in einem frühen Stadium zu systematisieren, den Austausch der Beobachtungen zu regeln und entsprechende behandelnde weitere Maßnahmen einzuleiten.

In der Prävention wird auf Grund des breiten Spektrums der damit bezeichneten Maßnahmen, immer wieder nach differenzierteren Ausdrücken und Begriffen gesucht, wobei Hafen (2007) darauf hinweist, dass es sich nicht um falsche Begriffe handelt, jedoch sollen den Begriffen und Ausdrücken Hinweise auf den Bedeutungsrahmen folgen, um den Lesern Klarheit über die Präventionsmaßnahme zu verschaffen.

Auf der Zeitachse bedeutet die Einteilung der medizinischen Prävention (Caplan, 1964, zitiert nach Hafen, 2007), dass

  1. primäre Prävention: das Auftreten der Erkrankung soll verhindert werden
  2. sekundäre Prävention: die Krankheit ist bereits aufgetreten, Maßnahmen zur Verhinderung der Chronifizierung werden zu diesem Zeitpunkt getroffen
  3. tertiäre Prävention: die Folgeschäden sollen verhindert werden

Das Ordnungsprinzip nach Caplan veranlasst Ritter& Koch (1995) eine Einteilung im Hinblick auf Präventionsmaßnahmen im Bereich der sexuellen Gewalt vorzunehmen. Die primäre Prävention zielt darauf ab, generell die Auftrittswahrscheinlichkeit zu verringern, die sekundäre Prävention ist, die Früherkennung von sexuellen Übergriffen und angemessene Beratung von Betroffenen zu sichern. Die tertiäre Prävention stellt den Bereich der Bearbeitungs- und Bewältigungshilfe dar, um die Langzeitfolgen bzw. den Schutz vor Reviktimisierung herzustellen.

Marquart- Mau (1997) sieht die möglichst früh einsetzende Aufklärung, Beratung und Anleitung der Kinder, deren Eltern und die Fort- und Weiterbildung der Lehrer als präventive Maßnahme erster Ordnung. Durch vorbeugende Strategien (Prävention) und vorbeugende Maßnahmen (Prophylaxe) soll Missbrauch im Vorhinein generell verhindert werden. Die Sekundärprävention legt das konzentrierte Handeln darauf, die Wiederholung des Missbrauchs zu verhindern, betrifft spezifische Risikogruppen und besitzt somit den Charakter der Intervention. Für den schulischen Kontext bedeutet dies, dass das explizite Ziel die Primärprävention ist, die Sekundärprävention (vorbeugende Strategien festlegen) ein implizites Ziel der Bemühung darstellt und somit die Verwirklichung von Sekundärprävention im Verantwortungsbereich der Schule liegt.

Zusammenfassung

Um eine Unterscheidung zwischen Prophylaxe und Prävention treffen zu können, sind inhaltlich unterschiedliche Aspekte ausschlaggebend, um ein vorweg festgesetztes Ziel zu erreichen. In der Prophylaxe werden im sozialpädagogischen Kontext oft Maßnahmen eingesetzt, deren Ziel es ist, Kinder zu stärken, ein Mehr an Wissen im Bereich sexuellen Missbrauchs und Gewalt zu vermitteln und über Unterstützungsmaßnahmen zu informieren.

Prävention wird verstanden als strategische Vorbeugung, deren Ziel es ist, Erwachsene über Gewalt zu informieren, um für den Anlassfall gerüstet zu sein. Vorab der Krise wird die Krisenintervention für Kinder und Eltern besprochen.

Primäre Prävention wendet sich somit an eine große Adressatengruppe (Kinder, Eltern und Lehrer). Deshalb werden von verschiedenen Autoren primäre Prävention und Prophylaxe synonym verwendet, da für Kinder nicht nur spezifische Sexual- und Gewaltpräventionsangebote, sondern auch prophylaktische Angebote gemacht werden.

In der sekundären Prävention werden die Prinzipien der Primärprävention miteinbezogen, da die Effizienz der Prophylaxearbeit (das Erkennen von Kindern, die von Gewalt betroffen sind oder Kinder können die schon erlebte Gewalt mitteilen und es entsteht eine Krisensituation) das Ziel von Präventionsmaßnahmen (z.B. im schulischen Kontext) darstellt.

Die Tertiärprävention wird synonym für Intervention verwendet, wenn es im Rahmen von schulischen Präventionsprogrammen zu einer Vermittlung von betroffenen Kindern an adäquate therapeutische Facheinrichtungen kommt.

Hier bleibt im Rahmen der Sekundärprävention die Frage offen, wer betroffene Kinder in der Schule erkennen kann und wer in diesem Kontext die Adressaten der Erzählung eines Kindes sind. Welche Person kann in der Schule Krisenintervention zur Aufdeckung von geheimen Emotionen und Geheimnisinhalten durchführen? In der Tertiärprävention wäre demnach der Sprung vom Kontext Schule zu einem anderen Kontext (z.B. Kinderschutzzentrum), der die notwendigen Interventionen nach der Krisenintervention in der Schule übernimmt, schon vollzogen. Auch auf die angemessene Beratung von betroffenen Kindern wird hingewiesen. Demzufolge wäre die Sicherstellung, dass ein betroffenes Kind Hilfe z.B. durch eine spezielle Einrichtung erhält, eine angemessene Beratung in der sekundären Präventionsstufe.

De Waal und Thoma (2000) sehen hierfür die Spezialisten im Kontext der freien Jugendwohlfahrt (z.B: Kinderschutzzentrum). Die Fragen, die sich daraus ergeben, sind folgende: Wer überweist das Kind? Sind die Eltern einverstanden? Wie kann das Annehmen der Behandlung sichergestellt werden? Stellt die Mitteilung JWG §37 von einem Lehrer an den Jugendwohlfahrtsträger, der dann seinerseits als Mittler zu den Spezialisten fungiert, eine indirekte jedoch korrekte Orientierungshilfe für ein professionell nachvollziehbares Vorgehen dar?

Marquart- Mau (1997) teilt die Prophylaxe, die Krisenintervention, die strategische Prävention der Eltern und die Fortbildung der Lehrer den präventiven Maßnahmen erster Ordnung zu und erwähnt einen dezidierten Verantwortungsbereich. Demzufolge hätten die Lehrer durch eine absolvierte Fortbildung erlernt, wie das Ziel, Gewalt zu verhindern, erreicht wird. Der Schutz vor weiterer Gefährdung durch die Verhinderung einer Wiederholung der Gewalttat wird jedoch der Sekundärprävention zugeordnet und es wird auf einen anderen Kontext verwiesen.

Daraus ergibt sich an dieser Stelle für mich die Frage, wer die Fortbildung der Lehrer anbietet? Diese Schulung der Lehrer oder anderen Professionisten kann selbstverständlich nur von den Verantwortlichen selber durchgeführt werden, um tatsächlich ein einheitliches inhaltliches und prozessorientiertes Vorgehen bei Krisensituationen durch Kindeswohlgefährdung zu gewährleisen.

Bei De Waal und Thoma (2000) finden sich als Verantwortungsträger jene Berufsgruppen als Akteure, die auch die Adressaten einer Mitteilung einer Kindeswohlgefährdung JWG §37 sind. Im Handlungsleitfaden der beiden Autoren befinden sich Lehrer durch das Verfassen einer Mitteilung an das Jugendamt (den Akteur) in der Rolle eines Melders eines Kindes, das von Kindeswohlgefährdung durch konkrete Umstände betroffen ist.

Vor einer Mitteilung an das Jugendamt als Akteur oder an die Polizei existiert das Kind mit seinem geheimen Erleben (Geheimnisinhalt) und den speziell damit verbundenen Geheimhaltungsstrategien im täglichen sozialen Kontakt mit seiner Umwelt. In pädagogischen Bereichen wird das Kind entweder als unauffällig bezeichnet oder sensorisch als „verhaltensauffälliges“ Kind im Unterschied zu anderen Kindern, betrachtet. Die Äußerungen eines Kindes über ein schamgebundenes Familiengeheimnis können dazu führen, dass ein Erwachsener den konkreten strafrechtlichen Verdacht gegenüber der Polizei äußert, dass dieses Kind Opfer von Gewalt wurde oder/und eine Mitteilung an den Jugendwohlfahrtsträger verfasst, dass das Kindeswohl gefährdet sei.

Jedoch ist gerade diese Suche nach der Wahrheit vorerst zwiespältig, denn Fach- und Prozesskompetenz für die Wirksamkeit von Schutz- und Risikofaktoren eines Geheimnisses sind nötig, um vorerst den wahren, meist verborgenen Geheimnisinhalt zu entdecken.

In Österreich gibt es die Möglichkeit zur Überweisung der Opfer an Einrichtungen wie die Gewaltschutzzentren und die Kinderschutzzentren. Diese, zur Kooperation ausgerichteten Einrichtungen, stehen den Familien mit ihren Angeboten zur Verfügung. Kinderschutzarbeit ist die Aufgabe mehrerer Institutionen und Ämter, die mit unterschiedlichen Mitteln und aus ihren unterschiedlichen Rollen heraus Interventionen auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Kinderschutz wird als Querschnittsmaterie bezeichnet. Für den Bereich „Präventionskontext Kinderschutz“ bei tabuisierten Geheimnissen wurden unterschiedliche Bestandteile integriert:

  • verschiedene gesetzliche Regelungen,
  • psychotherapeutische Methoden und
  • wissenschaftliche Erkenntnisse
  • sowie auch gesellschafts- und gesundheitsrelevante Maßnahmen basierend auf
  • integrierten Normen und Ideologien jeweils autonome Bestandteile sind, die sich ineinander verzahnen:
    • Familienrecht, Strafrecht, Jugendwohlfahrtsgesetz, Zivilrecht
    • Systemische Familientherapie, Analytische Therapie
    • Emotionsforschung, Geheimnisforschung
    • Gesundheitsprävention, Kriminaldelikts- Prävention, pädagogische, soziale und politische Systeme
    • Sozialethik

5.2 Die Zielgruppenorientierung in der Prävention

Weitere Begrifflichkeiten für Prävention sind nach Gordon (1987, zitiert nach Hafen, 2007) die universal prevention, die selective prevention und die indicated prevention:

  • Universelle Prävention (universal prevention) bezeichnet Maßnahmen, die sich an Bevölkerungsgruppen richten, denen keine spezifischen Risikofaktoren zugeschrieben werden.
  • Unter Selektiver Prävention (selective prevention) versteht man, wenn bei einer Zielgruppe bestimmte Risikofaktoren in Bezug auf das zu verhindernde Problem ausgemacht wurden.
  • Als indizierte Prävention (indicated prevention) werden Maßnahmen bezeichnet, die sich an Zielgruppen wenden, an der schon die zu verhindernden Probleme entdeckt wurden.

Folgende systemische Grundannahmen lassen sich nach Von Schlippe und Schweitzer (1997, zitiert nach Hafen, 2007) für die Konzeption von Präventionsmaßnahmen nutzen:

Bei der Suche nach Risikofaktoren, die mit Problemen einhergehen, können unterschiedliche Denkansätze herangezogen werden, um kommunikativen Anschluss zu finden. Hafen weist auf eine Ähnlichkeit von therapeutischen Interventionszielen und Überlegungen zu Präventionsmaßnahmen hin:

Zur Vergrößerung des Möglichkeitsspielraumes wird nach Handlungsalternativen zur bisherigen Problemlösung gesucht, die Hypothesenbildung erfolgt auf Basis von komplexen Zusammenhängen. Durch zirkuläres Fragen werden unterschiedliche Sichtweisen exploriert. Die Neutralität des Professionisten in Bezug auf diese Sichtweisen und die jeweils eigenen Meinungen in Bezug auf unterschiedliche Sichtweisen brauchen Raum, vorerst ohne Wertung. Die Neugier des Professionisten betreffend der bisherigen Handhabung einer Situation. Respekt und Respektlosigkeit gegenüber Ideen zur bisherigen Problemlösung (mit dem Ziel der Erweiterung von Problemlösungen in bestimmten Situationen). Als eine Irritation und Anregung für Veränderungen des Problemsystems und mit dem Fokus auf Ressourcen für Veränderungen und den Ressourcen für lösungsorientierte Veränderungsschritte.

Durch Gewaltprävention kann kein direkter Einfluß darauf genommen werden, ob Kinder Gewalt erleben, die  Geheimhaltung der Gewalt stellt jedoch jenen Risikofaktor dar, der als (Mit)Problem dem Professionisten zahlreiche präventive Einflußnahmen eröffnet.

5.2.1 Prävention als Interventionsversuch

Hurrelmann (1993) verwendet den Begriff Intervention als analytisch leitenden Arbeitsbegriff, wobei alle Eingriffe in soziale Verhältnisse (Beeinflussung des Verhaltens von Menschen und direkte Eingriffe in Verhaltensweisen von Menschen) gemeint sind. Er unterscheidet drei verschiedene Formen der Intervention:

  1. Präventive Intervention: negative Einwirkungen auf die persönliche Entwicklung sollen verhindert bzw. vermindert werden
  2. Unterstützende und heilende Intervention: bei betroffenen Kindern sollen die negativen Folgen für die weitere Entwicklung abgewendet werden
  3. Rehabilitierende oder kompensatorische Intervention: Angebot der Hilfen durch div. Angebote bei bestehenden Verletzungen und Schädigungen

Es braucht nach Hafen (2007) eine formale Grundstruktur (Aspekte), um die enorme Vielfalt von präventiven Maßnahmen und deren Ausprägungen (u.a. Suchtprävention, Gewaltprävention, Prävention für Jugendliche, Prävention in der Schule) fassen zu können.

Prävention versucht in der Gegenwart noch nicht aufgetretene Probleme zu verhindern, indem in psychische und soziale Systeme Veränderungsprozesse initiiert werden.

„Diese Veränderungs- oder Lernprozesse sollen dazu beitragen, dass die Wahrscheinlichkeit von bestimmten Problemen wie u. a. Sucht und Gewalt reduziert wird.“
(Hafen, 2007, 37)

Dabei weist der Autor darauf hin, dass weder Fatalismus („Prävention bringt eh nichts“) noch Heilversprechen („Prävention ist die Lösung“) der Prävention dienlich sind. Vielmehr schlägt er vor, Prävention an eine bescheidene Grundhaltung in Bezug auf Interventionsmöglichkeiten zu koppeln und mit einem unablässigen Streben danach, durch theoretische, empirische und methodische Mittel Interventionswahrscheinlichkeiten zu erhöhen bzw. diese nachzuweisen.

Da der Mensch in ein Netzwerk von sozialen Systemen als relevante Umwelt für sein psychisches System eingebunden ist, eröffnet dies der Prävention die Möglichkeit, die Interventionsversuche nicht nur direkt an das Individuum zu richten, sondern auch an die Systeme der Lebenswelt des Menschen. Intervention wird dadurch definiert, dass der Versuch unternommen wird, durch Kommunikation in die Prozesse eines Systems einzugreifen (Anmerkung der Autorin für die Krisenintervention im Rahmen der Gewaltprävention: mittels Kommunikation des Professionisten wird versucht, über die Geheimhaltungsprozesse des Kindes ins Gespräch zu kommen).  

Beratung und Erziehung sind als Kommunikationsform nicht einfach zu unterscheiden, es werden erwünschte Veränderungen durch unterschiedliche Methoden zu erreichen versucht:

  • nicht- interaktive Präventionsformen (z.B. Kampagnen, Theaterstücke)
  • Aufklärung
  • Sensibilisierung
  • Informationsvermittlung oder Wissensvermittlung

Eine zunehmende Bedeutung bekommt die interaktive Beratung, z.B. die kontinuierliche Beratung, im Rahmen eines Präventionsprojektes. In der systemischen Beratung liegt die Hilfeleistung in der höheren Gewichtung der Prozesskompetenz gegenüber der Fachkompetenz:

„Sie soll schauen, welche Maßnahmen aus Sicht des Systems sinnvoll und möglich sind, und sie soll das System auf seinem Weg begleiten, diese Maßnahmen so zu planen und umzusetzen, dass sie nicht nur aus fachlicher Sicht etwas bringen, sondern auch wirklich nachhaltig implementiert werden können“.
(Hafen, 2007, S 40)

Falls ein System für eine Veränderung nicht bereit ist, können Präventionsmaßnahmen, auch wenn diese fachlich notwendig sind, gegen den Widerstand nicht durchgesetzt werden.

Eine nach Willke (1994) extern oder intern induzierte Krise rüttelt die Familie auf und ermöglicht Fragen und Infragestellungen der Identität und zu einer möglichen neuen Identität – dies führt zu einer Entwicklungskrise. Zwischen der Diagnose des Familienrisikos und der daraus resultierenden Schutzintervention liegt ein Zeitraum, dieser Zwischenraum dient der Möglichkeit zur strategischen Beeinflussung mittels Kommunikation. Die Krise der Familie wird von außen zu diesem Zeitpunkt induziert. (Willke, 1994) Eine induzierte Krise wirkt wie ein Alarmsignal, um an rekursiven Interaktions- und Kommunikationsmustern anschließen zu können.

„Die eleganteste Mittellage zwischen Stasis und Krisis ist der spielerische Umgang mit Identität.“
(Willke, 1994, S 138)

Der Autor meint, dass das System Familie in seiner innersten Operationsweise verschlossen ist. Vielmehr lassen äußere Anzeichen darauf schließen, was im Inneren des Systems los ist. Krisenintervention basiert auf der Grundlage einer stützenden Beziehung und riskiert dabei die Labilisierung eines Systems, mit dem Ziel einer Restabilisierung des verändernden Selbstbildes des Systems.

Zusammenfassung

Manuale, Leitfäden zur Kinderschutzarbeit und gut ausgearbeitete Konzepte zur Gesundheitsprävention bei Gewalt können zur Konstanz führen. Sie sind für soziale und rechtliche Institutionen hilfreich, um dem Kind und dessen Familie insbesondere Fragen nach den zukünftigen Konsequenzen („Was passiert jetzt als nächstes mit uns?“) zu beantworten. Ein Manual, ausgerichtet auf Interventionen nach Gewalthandlungen, erweist sich als nicht ausschlaggebend darauf, ob das Kind über seine Gewalterfahrung affektiv erzählen kann.

Wie kann ein differenziertes Präventionsprogramm entwickelt werden um Prävention und Intervention zu verbinden? Was ist das „Mittel der Wahl“ bei tabuisierten Familiengeheimnissen wenn im Rahmen von selektiven Präventionsmaßnahmen die Notwendigkeit für Krisenintervention, als eine indizierte Präventionsmaßnahme offensichtlich wird? Wer trägt die Prozessverantwortung, um den Wert der Nachhaltigkeit im Hinblick auf die Umsetzung fachlicher und prozessorientierter Kriseninterventionsinhalte beim Verschweigen von Gewalt sicher zu stellen? Das inhaltliche Gespräch orientiert sich am Gefährdungszusammenhang des Geheimnisses: jene Bedingungen, die zu einer Geheimhaltung führten, sind auch ausschlaggebend für die Beendigung der Geheimhaltung.

In dieser zeitlichen Orientierung zwischen den zukünftigen Schutzmaßnahmen und den bisher existenten Risikofaktoren liegt der Zwischenraum für Krisenintervention. Was wird kommuniziert, damit die Menschen sich von sich aus verändern wollen? Bei tabuisierten Familiengeheimnissen liegt die intersubjektive Betrachtung nahe. Die beratende „aufdeckende“ Arbeit befasst sich weitgehend mit den Konsequenzbedingungen des Kindes beim „sich mitteilen“

  • Vorgangsweise bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung
  • Gesprächsführung bei Geheimnissen

Die Antezedensbedingungen sind zum Zeitpunkt des Krisengespräches ebenfalls relevant, da das Kind eine Mitteilung bisher als unmöglich betrachtete und dadurch ergeben sich die Inhalte der Beratung:

  • individuelle Familiensituation, toxische Scham bei tabuisierten Familiengeheimnissen
  • kindliche Einflussmöglichkeiten auf die veränderte Situation: krisenhaftes Erleben

Gewaltprävention induziert die Krise, die Krisenintervention stellt die indizierte Präventionsmaßnahme dar: Um den Schutz vor weiterer Gefährdung der Gesundheit des Kindes herzustellen, muss die gefährdete Person erfasst werden und sich selber mit dem Helfer auf das „Ich“ im „Hier und Jetzt“ in einer prekären Situation einlassen können. Das Gefühl „Scham“ der konkret betroffenen Person im sozialen Vorgang der Geheimnismitteilung an eine andere Person, die ebenfalls von der Scham erfasst wird, ist Bestandteil eines Mitteilungsprozesses. In der Scham liegt das Potential, das zur konstruktiven Entwicklung und Bewältigung einer Krisensituation durch Kommunikation beiträgt.

5.2.2 Der individuelle Ansatz der Krisenintervention

Der individuelle Ansatz der Krisenintervention von Aguilera (2000) unterscheidet sich von der generellen Krisenintervention und von der Psychotherapie. Als Philosophie wird die Arbeit mit diesem Ansatz bezeichnet, mit der der Professionist vor allem auch selber zurecht kommen muss. Die Grundpfeiler der Krisenintervention sind (Morley, Messick & Aguilera, 1967, zitiert nach Aguilera, 2000):

  • das Vorgehen ist die erste Wahl, die Überzeugung spielt eine Rolle
  • die Intervention erfolgt auf Grund der genauen Untersuchung des vorliegenden Problems
  • der Behandlungszeitraum ist begrenzt und die gesamte Energie wird auf das vorliegende Problem gerichtet
  • andere Themen finden vorerst keine Beachtung
  • die Rolle des Professionisten ist aktiv und mitunter direktiv
  • die Notwendigkeiten klären: weitere Ressourcen, Informationsbedarf
  • das Ziel ist es, zumindest das Funktionsniveau von vor der Krise zu erreichen

Die psychogene Vergangenheit der sich in der Krise befindlichen Person wird relevant wenn sie zu einem besseren Problemverständnis beiträgt: der genaue Beitrag als Auslöser für die Krisensituation wird untersucht. Die Einbeziehung von Angehörigen und anderen Bezugspersonen ist speziell in diesem Ansatz, wo die Ursache auch als Auslöser für die Krise gesucht wird, ein entscheidender Unterschied zu generellen Kriseninterventionen und ausführlichen Psychotherapien. Um den Prozess der Krisenbegleitung verantworten zu können, attestiert Jacobson (1968, 1990, zitiert nach Aguilera 2000) dem Professionisten eine Spezialausbildung in den Bereichen Psychiatrie und Psychologie.

Folgende Abschnitte für die Krisenintervention sind hier angeführt:

  • Einschätzung: Die Einschätzung des Betroffenen und seines Problems
  • Planung der Intervention: das Ziel ist die Widerherstellung des bisherigen psychischen Gleichgewichts bzw. dessen qualitative Steigerung. Der Zeitpunkt des Krisenausbruches wird dabei fokussiert, um die Auswirkungen der Krise auf die Person und deren Umwelt zu erforschen. Vorhandene Bewältigungsmöglichkeiten und innerpersonelle Ressourcen und wichtige personelle Ressourcen der Umwelt werden ebenso erforscht.
  • Interventionsschritte:
    • um ein intellektuelles Verständnis für die Krise zu gewinnen wird sehr direkt im Gespräch die bedrohliche Situation als krisenauslösendes Ereignis erörtert
    • die aktuellen Gefühle, Affekte und Emotionen ausdrücken
    • das bisherige Bewältigungsvermögen bzw. mögliche neue Bewältigungsstrategien werden gesucht
    • die Widereingliederung in eine ev. veränderte soziale Welt
  • Auflösung der Krise und Zukunftsplanung:
    Die Untersuchung der Krisenzeit und die Reflexion des Erlebten. Was hat zum Abbau von Angst und Anspannung beigetragen? Die Bekräftigung der Veränderungen während dieser Zeit stehen im Vordergrund.

Zusammenfassung

Um den letzten Teil meiner Fragen aus dem Vorwort zu beantworten (C: Wie und von wem kann die Kindeswohlgefährdung durch Gewalt beurteilt werden? Wer kann zum Schutz der Kinder vor Gewalt die Verantwortung für diesbezügliche Hilfeleistung um den physichen und psychischen Schutz übernehmen?), möchte ich meine Fragen noch durch weitere Fragen nach dem Bedeutungskontext ergänzen: Wo und von wem soll die Krisenintervention durchgeführt werden und wie kann diese Kompetenz zum Tragen kommen?

In dieser Literaturarbeit wurde die Vorgangsweise der Kinderschutzarbeit durch den Blick auf die Scham - und diese notwendigerweise auch zu verbergen - gerichtet und damit die gesundheitsrelevante Orientierung auf das Wohl des Kindes vertieft. Der Einblick in Geheimnisse dient der für ein Kind beruflich verantwortlichen Person im Krisenanlass dazu, neben der Aufforderung zur Aufdeckung einer konkreten Gefährdung die Schutzfunktion von Geheimnissen für und mit der Familie zu verstehen.

Hier ist die Unterscheidung nach einer zeitlichen Perspektive und unterschiedlichen präventiven Maßnahmen zu treffen:

  • Die Verhinderung des Risikofaktors Gewalt (in der Zukunft),
  • mittels Intervention, basierend auf der Mitteilung JWG § 37,
  • liegt bei den Risikofaktoren, die die Etablierung noch stärkerer Mittel zur Geheimhaltung als bisher verhindern können. Um diesen verbleibenden Risikofaktoren vorzubeugen, werden Gespräch über die Geheimnisbedingungen geführt: Die bisher erworbenen Erfahrungen der Kinder auf der Beziehungsebene werden offengelegt.

Dieser amtlichen Intervention (Mitteilung § 37) zur Verhinderung von Gewalt geht die Krisenintervention zur Verhinderung der Aufrechterhaltung von Geheimnissen voraus:

  • Für die Prävention und den nachfolgenden Interventionen sind vorab inhaltliche, fachliche und prozessorientierte Handlungsabläufe Orientierungshilfen für Professionisten der Gewaltprävention.
  • Der „Präventionskontext Kinderschutz“ birgt die individuelle Krisenintervention.
  • Deshalb können nur die Verantwortlichen selber für diesen Bereich die Fortbildungskompetenz im „Präventionskontext Kinderschutz“ gewährleisten.

Die Grenzen von Hilfeleistung für die Familien in der Querschnittsmaterie „Kinderschutz“ liegen dort, wo es weder eine Problemeinsicht in den familiären Problembereich gibt, noch kommunikative Ressourcen zur Unterstützung und Heilung für das Kind zur Verfügung stehen. Ein nützlicher „side effect“ für den strafrechtlichen Bereich liegt bei dieser Vorgangsweise auch darin, die Bedingungen, die bisher zum Schutz des Täters geführt hatten, zu erfahren. Die Geheimnisart des Kindes verrät etwas über die anhaltende Wirkung der Person, die bisher das Ausdrucksverhalten des Kindes in diesem Bereich kontrollierte. Wenn sich eine ethische Bindung durch Loyalität zum Täter zeigt, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass vorerst das selbstreflexive Geheimnis nicht dem Verbergen der Scham, sondern dem Schutz des Täters dient.

Am Beginn der Krisenintervention verschärft sich der Druck nicht nur für das Kind, sondern auch für den Behandler dann enorm, wenn der Zugang zu den Gefühlen des Kindes dem Kind selber nicht möglich ist. Durch den malignen Clinch (entwertende Strategien durch den Täter) des Kindes ist der Prozess der Externalisierung von Gefühlen und demnach die Bestimmung der Risiko- und Schutzfaktoren vorerst nicht möglich. Eine antizipierte Gefährdung durch Vernachlässigung kann ebenfalls ein Kriterium für eine orientierte präventive Vorgangsweise in Kooperation mit sozialpädagogischen Einrichtungen darstellen. Die Loyalität als schützende ethische Verbindung zu den Tätern bedarf oft außerfamiliärer Kontrolle und sozialpädagogische Unterstützung und Unterbringung, um dem Kind den Zugang zu den eigenen Gefühlen wieder zu ermöglichen. Der Umstand der Vernachlässigung bringt eine Verzögerung der zu erwartenden Erzählung mit sich, da das Kind vorerst die eigenen Gefühle und Bedürfnisse von denen anderer zu unterscheiden lernen muss.

Wenn eine Krisenintervention bei traumatischen Geheimnissen unterlassen wird, wird eine weitere Gefährdung durch die Scham und deren gesundheitsschädigenden Auswirkungen ein Problem bleiben, das sich in der Zukunft zeigt. Was sich zeigt, produziert Scham, hier werden Toleranzschwellen angezeigt, die eine eigene innere Schamfreiheit des Professionisten voraussetzen, um sich voller Mut einem Familiengeheimnis taktvoll anzunähern.

Gesundheitsrelevantes Fazit

Zusammenfassend möchte ich betonen, dass sich in Bezug auf Gewaltpräventionsprojekte zahlreiche grundlegende Qualitätskriterien im Hinblick auf das Know-how der Professionisten ergeben.

Selektive Präventionsmaßnahmen umfasst die Zielgruppe der Kinder und deren Eltern, dafür werden Projekte als Mehr–Ebenen-Programme durchgeführt und als Verhältnisprävention bezeichnet. Wenn das implizite Ziel der Gewaltprävention erreicht wird und es entsteht der Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung wird, für die als belastet indizierte Zielgruppe, eine unterstützende Präventionsmaßnahme notwendig. Durch Gewaltpräventionsmaßnahmen werden sozusagen Krisensituationen provoziert.

Es finden sich in der Geheimnisforschung zum einen der psychologische Hinweis auf die Schutzfunktion der Geheimhaltung als Nutzen für Familien, zum anderen den für die Prävention nützlichen psychologischen Hinweis auf das Gesundheitsrisiko der Opfer und deren Familien durch die isolierende Wirkung von tabuisierten Familiengeheimnissen. In einer unterstützenden Struktur eingebettet, sollen geheimnis- und schamfokussierte Kriseninterventionsmaßnahmen gesetzt werden, die den spezifischen Verlauf der Geheimhaltung von Gewalt berücksichtigen und die oben dargestellten Hinweise auf den Nutzen als Orientierung beinhalten.

Die individuelle Krisenintervention beschreibt dieses inhaltliche und prozessorientierte Vorgehen von einem reflexiven zu einem einfachen Geheimnis (vgl. 3.5.). Die „besondere Haltung“ eines Professionalisten, die für die Durchführung der individuellen Krisenintervention als notwendig beschrieben wird, widmet sich der genauen Untersuchung der Problematik, die zur Krise führte. Schambedingungen tragen wesentlich zur Entscheidung einer Geheimhaltung von Gewalt bei und bestimmen im gleichen Maße die Veränderungsmöglichkeiten der Toxizität des Affekts während des Mitteilungsprozesses mit.

Dadurch ergibt sich die Orientierung für Interventionen zur Verhinderung einer Chronifizierung, nämlich die Konsequenz- und Vorbedingungen zur Geheimhaltung als Problematik zu betrachten und genauer zu untersuchen. Ein vermeintlich toxisches Geheimnis betrifft jedoch nicht nur ein Opfer von Gewalt, sondern auch durch die antizipierte Mitteilungsvorstellung der Geheimnisinhalte den Professionalisten selber. Ein Opfer von Gewalt muss von der Sicherheit des Professionalisten überzeugt sein, dies setzt die eigene Sicherheit bei der Durchführung der individuellen Krisenintervention und die eigene Überzeugung für diese Intervention voraus.

Auf Grund dieser Literaturrecherche messe ich der professionellen Brücke von analytischen Ansätzen für den Umgang mit der adaptiven Funktion von intersubjektiven Gefühlen zu systemischen lösungsorientierten und intersubjektiven Ansätzen bei tabuisierten Geheimnissen, als unterstützende und heilende Intervention und für Rehabilitationsmaßnahmen, einen besonderen Wert bei.

Im zugrunde liegenden Thema der tabuisierten Familiengeheimnisse findet man zentrale Aspekte von Risikofaktoren und Faktoren, die der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen bei Gewalt entgegenstehen. Fachliche Qualitätskriterien und strukturelle Grundlagen können erst ihre Schutzwirkung entfalten, wenn Wege gefunden werden, den für geeignet identifizierten Einflussfaktor als Kommunikationsgrundlage mit den gefährdeten Zielgruppen und deren Umwelt sinnvoll anzuwenden.

Um den Rahmen für Präventionsmaßnahmen zu schaffen und um Prävention in der Gesellschaft – das Geheimnis als Einflussfaktor in der Präventionsmaßnahme - nachhaltig einzubetten, messe ich diesem Aspekt große Bedeutung zu. Für die strafrechtliche Verfolgung von Gewalt- und Strafdelikten wird der Geheimhaltung eine negative Wirkung zugeschrieben, da sie die Identifizierung von Opfern und Tätern verunmöglicht. Mit dem Verweis auf die hohe „Dunkelziffer“ von möglichen Betroffenen, die in der Kriminalstatistik nicht aufscheinen, ergibt sich der Blickwinkel für die Krisenintervention.

Um Bildungsinhalte für Prävention und Interventionen im Bereich der Sexual- und Gewaltdelikte festzumachen, ist es nicht ausreichend Maßnahmen zu kennen, die auf den körperlichen Schutz vor Gewalt abzielen. Ergänzend benötigen potentielle HelferInnen im privaten sozialen Umfeld und professionelle HelferInnen eine eigene Interventionskompetenz, als strategische Präventionsmaßnahme, um in die Position zu gelangen, den Schutz vor weiterer Gewalt mit Kinder zu kommunizieren. Diese Interventionskompetenz stellt vorab der Krise die Grundlage dar, um auf das (mit)verursachende Problem bei einer Kindeswohlgefährdung durch Gewalt, der Geheimhaltung des tabuisierten Familiengeheimnisses, Einfluss gewinnen zu können.

Eine Krisenintervention ist notwendig um eine Mitteilung JWG § 37 verfassen zu können, die inhaltliche Beschreibung umfasst die der Familie angebotenen Hilfe zur Identitätserhaltung bei gleichzeitiger Veränderung der aufgefundenen Problematiken (unter anderem die der Gewalt). Die affektive Kommunikation stellt in jeder Phase der Krisenintervention ein Qualitätskriterium im „Präventionskontext Kinderschutz“ dar.

5.2.3 Prävention als Erziehung

Grundlage ist die Unterscheidung von Erziehung und Sozialisation nach Luhmann (2002, zitiert nach Hafen. 2007), wobei die Erziehung als eine soziale Veranstaltung gesehen wird, deren Absicht es ist, Lernprozesse zu etablieren. Diese werden durch die Selektionsfunktion der Schule regelmäßig überprüft und bewertet. Sozialisation meint die Lernprozesse durch informelle Kommunikation wie z.B. Ausgrenzung durch Schulkollegen, als intendierte Erziehungsversuche von Peers.

Hafen bezeichnet in einer allgemeinen Formulierung, dass die psychische Entwicklung eines Menschen das Resultat von Sozialisationsprozessen sei. Mit Hilfe von kommunikativen Interventionsversuchen sollen Menschen zu einer bestimmten Veränderung bewegt werden. Aus der systemischen Theorie begründet, können Veränderungen eines Menschen (von z.B: Therapeuten, Lehrkräfte, Fachleute für Prävention) nie direkt- kausal erreicht werden, sondern es werden Kommunikationssysteme in die Umwelt der Menschen, die es zu erreichen gilt, initiiert. Ziel ist es, dass die Menschen diese Art der Kommunikation dann als Anlass nehmen, sich zu verändern. Um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen, wird mittels Gesprächsmethoden und didaktiktischer Planung die Kommunikation gestaltet.

5.3 Die Aspekte der Prävention

Dadurch, dass der Präventionserfolg unwahrscheinlich von einer Anzahl von Faktoren, die die zu verhindernden Probleme (mit)verursachen, abhängt, muss in der Praxis nach Wegen gesucht werden, um die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen zu können. Das realisierbare und das nicht realisierbare (und dessen Einfluss auf das Realisierte) soll beobachtet und in zukünftige Planungen integriert werden. Fachleute und Auftraggeber sollen in die Planung mit einbezogen werden, um fachliche Qualität mit struktureller Verbindlichkeit zu kombinieren.

Um die Wirkung der präventiven Maßnahmen wahrscheinlicher zu machen, gilt es für Hafen (2007) zentrale Faktoren zu bestimmen:

  • Problem/Einflussfaktoren: Hier setzt die Praxis bei der Unterscheidung von Problemen, die mittels Präventionsmaßnahmen verhindert werden sollen, (z.B. Gewalt) an, sowie an den Risiko- und Schutzfaktoren, die einen Einfluss auf das Problem haben sollen).
  • Systemreferenz: Hier liegt die Unterscheidung der Präventionsmaßnahmen bei der Zielgruppe; entweder sie wendet sich direkt an eine Person (z.B. Verhaltensprävention) oder an die relevante Umwelt dieser Person (Verhältnisprävention).
  • Methodik: Unterscheidung von Methoden für die Praxisumsetzung
  • Zielgruppenfaktoren: Unterscheidung der Faktoren zur Eingrenzung der Zielgruppe für einzelne Maßnahmen
  • Externe Einflussfaktoren: die Unterscheidung von Umweltfaktoren, die die Präventionsmaßnahmen maßgeblich beeinflussen

Wichtig ist für den Autor, dieses Modell als Hilfe zur Beschreibung und Planung von präventiven Aktivitäten zu sehen, wobei damit auch bestehende Präventionsmaßnahmen zu analysieren sind. Auch in diesem Modell können die Bereiche nicht immer eindeutig voneinander getrennt werden und so können Fragen zu den einzelnen Bereichen auch umformuliert und erweitert werden. Jedoch muss sich Prävention, auf Grund der hohen Komplexität, auf Vereinfachungen einlassen, um handlungsfähig zu bleiben.

Auch die methodischen Aspekte werden vom Autor gut differenziert, um Präventionsmaßnahmen begreifen und beurteilen zu können.

Interaktive versus nicht- interaktive Prävention

In der Interaktion mit der Zielgruppe (z.B. Kind) können im Rahmen von Interaktionen mittels didaktischen Kommunikationsformen (z.B. Rollenspiele) Emotionen thematisiert werden, welche die Informationsverarbeitung begleiten.

Abschreckung

Da Informationen aus systemtheoretischer Sicht ein flüchtiges Ereignis sind, geht die Abschreckungsprävention den Weg, dass neben den Informationen die Betonung darauf liegt, die zukünftigen negativen Folgen aufzuzeigen. Hier gibt der Autor diverse Forschungsergebnisse mittels Abschreckung als nicht empfehlenswert an.

Die Bedeutung von Normen in der Prävention

Zwei entscheidende Faktoren sind laut Hafen relevant: Die Meinung von relevanten Bezugspersonen und wie diese Meinung von der Zielperson wahrgenommen wird. Hier ist die zukunftsgerichtete Perspektive zentral, wenn in der Prävention mit normativen Botschaften gearbeitet wird. Ziel ist es hier, dass den Zielpersonen Sanktionen (z.B. Strafe) bei Zuwiderhandeln gegen gesetzliche festgeschriebene Normen (z.B. Gewalttätigkeit) in Aussicht gestellt werden. Ziel ist es, Lernprozesse zu aktivieren, die die Überschreitung von normativen Strukturen zukünftig verhindern. Hier ist die damit im Zusammenhang erwartete Kontrolle und Sanktion der entscheidende Faktor, um die Prävention nicht unglaubwürdig zu gestalten.

Moral und Werte in der Präventionsethik

Nach Luhmann (1998, zitiert nach Hafen, 2007) nimmt Kommunikation dann eine moralische Qualität an, wenn sie menschliche Achtung und Missachtung zum Ausdruck bringt. Dies kann nicht nur direkt geschehen (z.B. Tadel oder Lob), sondern wird meist implikativ mitgeteilt (z.B. durch den Hinweis auf Bedingungen, die Regeln, welche Handlungen Achtung oder Missachtung verdienen). Meist ist die hier genannte zweite Methode gebräuchlich, nämlich der Hinweis auf Bedingungen. Um hier die Präventionsarbeit nicht mit Widerstand zu erschweren, sollte nicht die Person als Ganzes mit Missachtung gestraft werden, sondern einzelne Verhaltensweisen verurteilt werden.

Da Werte im ständigen Wandel sind, gelten diese nicht absolut. Für die Prävention bedeutet dies, dass geltende Werte laufend neu definiert und erarbeitet werden müssen. Hier rät der Autor dazu, die Zielpersonen nach ihren Wertvorstellungen zu fragen und diese in die Wertediskussion miteinzubeziehen. Werte und Bewertungen können kritisch hinterfragt werden. Dadurch besteht nicht die Notwendigkeit auf Unterscheidungen von „gut“ oder „schlecht“ zu verzichten bzw. Prävention wertfrei zu halten.

Die Ethik als Reflexionstheorie versucht die Bewertung auf Handlungen zu beschränken, berücksichtigt die Kontingenz von Sichtweisen, vermeidet, eigene Werte zum Maß aller Dinge zu machen und verhindert eine Diskriminierung einer Minderheitenmeinung.

Empowerment

Der Autor geht im folgenden Absatz auf Prävention mittels Konfliktlösung (z.B.  Mediation) ein. Ich möchte betonen, dass Gewalttaten nicht nur als innerfamiliäre Konflikte, sondern auch als Straftaten zu bewerten sind und Kindeswohlgefährdung professionelle Hilfe durch unterstützende und heilende Interventionen benötigt. Die Methode der Konfliktlösung unterscheidet sich demnach von der Krisenintervention, auch wenn beide Mittel als präventive Maßnahmen gelten.

Für den Autor gilt: Empowerment wird als methodischer Zugang dem lösungsorientierten Interventionsverständnis sehr ähnlich beschrieben. Fachleute sollen weniger als Experten, denn als kurzfristige Unterstützer und Vermittler dafür sorgen, dass gesundheitsfördernde Prozesse in Gang kommen.

Ein Beispiel für einen systemisch- lösungsorientierten Ansatz, der nahe zum Empowerment-Ansatz und in der Sozialarbeit bzw. Psychotherapie verbreitet ist, ist das Ratinginventar lösungsorientierter Interventionen (Honermann, 1999, zitiert nach Hafen, 2007, S 260):

  • Problemanalyse, Defizitorientierung: Klientinnen und Klienten anregen, das Problem zu fokussieren
  • Zielaktualisierung: die Klienten motivieren, eigene Ziele zu konstruieren
  • Beziehungsgestaltung, Kooperation, Respekt: sich durch respektvolles Interesse um eine kooperative offene Therapeuten-Klienten Beziehung bemühen, die Veränderung ermöglicht
  • Ressourcenorientierung, Kompetenzentwicklung: den Klienten helfen, sich eigener Fähigkeiten, Stärken und Ressourcen bewusst zu werden
  • Alternatives Denken, Musterunterbrechung, Destabilisierung: sich um Destabilisierung von Mustern/Schemata bei den Klientinnen und Klienten zu bemühen
  • Reframing: Klientinnen und Klienten dabei helfen, Probleme zu lösen, indem sie dazu befähigt werden, die Probleme in einem anderen Kontext zu sehen und so neue Bedeutungen zu konstruieren, die zur Entwicklung anderer Muster führen

Mit dieser Empowerment-Haltung können Fachleute, trotz der Geschlossenheit der autopoietischen Systeme, beobachten und bewerten, ob neue Lösungen gefunden werden. Hier zeigt sich die geringe direkte Einflussnahme, nämlich z.B. Projekte zu initiieren und das eigene Dilemma vor Augen zu haben:

„Handle wirksam, ohne zu wissen, was dein Handeln bewirkt.“
(Ludewig, 2000, zitiert nach Hafen, 2007, S 261)

Ressourcenorientierung

Wie “Empowerment“ ist auch die “Ressourcenorientierung“ ein immer gebräuchlicheres Schlagwort im Kontext von Prävention und Psychotherapie. Hafen formuliert zusammenfassend, dass Ressourcen von einem Beobachter beobachtet werden und als Bedingungen gesehen werden, die es ermöglichen, Probleme besser lösen zu können. Ohne diese Ressourcen würden diese Bedingungen zur Problemlösung nicht oder anders gegeben sein.

Das Konzept von Ressourcenförderung ist auf der funktionalen Ebene sinnvoll, wenn es sich um eine Förderung der Ressourcen-Defizite handelt. Somit spricht Hafen von einer Ursachenbekämpfung, um zukünftige Behandlungen einfacher zu gestalten.

Auf der methodischen Ebene kann der Blick auf den bestehenden Ressourcen (Stärkenseiten des Systems) liegen, um eine Behandlung verhindern zu können. In den professionalisierten Präventionen liegt der Ausgangspunkt der Überlegungen auf der funktionalen Ebene. Die Methodik gewinnt erst bei der Fragestellung an Bedeutung, wie diese bestehenden Probleme beseitigt werden können. Für die Prävention bedeutet dies, dass auf dem Weg zur angestrebten Veränderung dem System Hilfen als „Stärkung der Ressourcen“ angeboten und so aktiviert werden.

Partizipation

Die Organisation von Präventionsprojekten geht immer mit Entscheidungen einher. Somit wirft sie Partizipation Fragen auf. Hier können verschiedene Zielgruppen eingebunden werden, um sie sozusagen als Projektmitglieder aufzunehmen. Sinnvoll ist dies nicht nur auf einer ethischen, sondern auch auf einer theoretischen Ebene. Hafen schlägt vor, vorab reflektierende Fragen zu stellen (z.B. Was gilt, wenn die Entscheidung der Zielgruppe nicht der Meinung der Projektleitung entspricht? ), damit es nicht zu einer Pseudopartizipation kommt. Demnach ist vorab abzuwägen, ob Partizipation tatsächlich angegeben wird und ob dafür Ressourcen zur Verfügung stehen. Wenn nicht, ist es besser, hier Partizipation nicht zu deklarieren.

Prävention mit Multiplikatoren und Mediatoren

Eine nachhaltige Wirkung kann durch die Miteinbeziehung von Nichtfachleuten entstehen, vor allem, wenn man diese als Kommunikationsstrukturen versteht, die den Lauf und die Inhalte der Kommunikation beeinflussen. Um eine z.B. größere Anzahl von Zielgruppen zu erlangen, werden Multiplikatoren zur Verbreitung der präventiven Botschaft eingesetzt.

Mediatoren werden als Erfolgsmedien bezeichnet, da sie mittels ihrer Funktion zwei Wirkbereiche einschließen. Einerseits ist es die Hilfe zur Überwindung von Unterschieden (Sprache, Kultur, Bedeutung) und andererseits die Vermittlung im Konfliktsfall (Verantwortung über den Ablauf des Konfliktprozesses).

Kooperation, Koordination und Vernetzung

Prävention, die auf die Veränderung sozialer Systeme ausgerichtet ist, wird durch die Zusammenarbeit von Akteuren gelingen. Folgende Formen der Zusammenarbeit unterscheiden Naidoo & Wills (2003, zitiert nach Hafen, 2007):

  • Partnerschaften: basieren auf der gleichberechtigten Stellung an Macht und Einfluss
  • Dienstleistungsvereinbarungen und Verträge: verbindliche Abmachungen, die die Verantwortlichkeiten festlegen
  • Zusammenarbeit von mehreren öffentlichen Dienststellen: alle gehören dem gleichen Bereich an und haben einen gesetzlichen Leistungsauftrag
  • Multisektorale Zusammenarbeit: Kooperationen verschiedener (öffentlicher und freier) Bereiche
  • Inter- und multidisziplinäre Zusammenarbeit: Kooperation von Personen mit unterschiedlichen Rollen und Aufgaben, aus einer oder verschiedenen Einrichtungen
  • Gemeinschaftliche Planung: Zusammenarbeit zum Zweck des gemeinsamen Ziels, der Entwicklung und Umsetzung eines Planes
  • Team: Zusammenarbeit von Personen, die zur Erfüllung die notwendigen Kompetenzen aus unterschiedlichen Bereichen einbringen.
  • Hier erweitert sich die Komplexität des Kooperationsaspekts durch die Projektarbeit als Methode in der Prävention
  • Hafen bezeichnet die Projektarbeit als eine Methode, die für die Prävention prädestiniert ist.
  • Hier werden drei Ebenen betrachtet: Die Sach-, die Sozial- und die Zeitdimension.
    • Die Sachdimension setzt die Unterscheidung von Machbarem und Wünschbarem, eine Entscheidung und die Festsetzung von Prioritäten voraus. Eventuell ist es hier nötig, innerhalb eines Projektes mehrere Teilprojekte und - wenn nötig - Subprojekte zur Tiefendifferenzierung festzulegen (z.B. Ziel: Gewalt zu bekämpfen)
    • Bei der Sozialdimension geht es um die Partizipation der Personen, denen eine Entscheidungskompetenz zugeschrieben wird, um eine Erhöhung der Interventionschancen zu erreichen. Dies macht die direkte Auseinandersetzung bei z.B. Widerständen möglich. Für den Projekterfolg ist hauptsächlich die Zusammensetzung der Projektgruppe, die Legitimation und die Entscheidungskompetenz von Relevanz. Mitbedeutend können auch der Projektgruppe innewohnende komplexe Themen und Dynamiken sein; hier schlägt Hafen vor, eine professionelle Projektleitung bzw. Projektbegleitung zu initiieren, die höchst motiviert ist, das Problem zu verringern.
    • Bezüglich der Zeitdimension schlägt Hafen vor, in längeren Prozessen Zwischenziele zu formulieren und diese in kurzen Abständen auszuwerten. Eventuell verändert sich dadurch auch das Projektziel bzw. werden neue Planungsschritte möglich, um einen Problemlösungszyklus, in dem auch Veränderungen des Projektsystems mit einbezogen werden, für die Zukunft entstehen zu lassen.

Nachhaltigkeit

Ziel ist es, Veränderungen - auch über das Ende des Projektes hinaus - aufrecht zu erhalten.

„Nachhaltigkeit ist in diesem Sinn die Bezeichnung für den Versuch, nicht nur bestimmte Veränderungen zu erreichen, sondern diese Veränderungen mit einer langfristigen Wirkung auszustatten, wenn immer das möglich ist“.
(Hafen, 2007, S 285)

Entsprechende Strukturen müssen demnach jeweils operativ aktualisiert werden. Eventuell sollte gefragt werden, ob eine Wiederauffrischung des Gehörten Sinn macht und realisiert werden könnte.

Mit komplexen Strategien und Methodenvielfalt zu mehr Wirkung

Eindeutig liegt für Hafen (2007) der Schluss nahe, dass ein Methodenmix mehr Wirkung erzielen kann als einzelne isolierte Maßnahmen, da es die Prävention fast immer mit multifaktoriellen „bio- psycho- öko- sozialen“ Phänomenen zu tun hat. Zu fokussieren ist ebenfalls, wie sich die Ursachenlage von Problemen im Lauf der Zeit durch laufende Veränderung von Umweltbedingungen, Gewöhnungseffekte von verwendeten Strategien, verändern kann. Sich verändernde Verhaltenspräventive und verhältnispräventive Maßnahmen sind hier erforderlich. Aus diesem Grund sind es ebenfalls die politischen Rahmenbedingungen, die hierfür geschaffen werden müssen (z.B. es sollten nicht nur in Zeiten von massenmedialer, öffentlicher Aufgeregtheit Maßnahmen durchgeführt werden).

„Evidenz-basierte Prävention benötigt daher nicht nur Maßnahmen zur Evaluierung ihrer Wirkung, sondern auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse fundierte Planung, Koordination und Vernetzung sowie eine enge Kopplung zu Maßnahmen der Früherkennung und Behandlung“.
(Hafen, 2007, S 289)

Zusammenfassend schreibt der Autor, dass es oft lange für die Umsetzung einer Strategie braucht und selbst dann kann sie lediglich als Prävention in einem bestimmten Kontext bezeichnet werden. Das Realisierbare und das nicht Realisierbare (und dessen Einfluss auf das Realisierte) soll beobachtet und in zukünftige Planungen integriert werden. Fachleute und Auftraggeber sollen in die Planung mit einbezogen werden, um fachliche Qualität mit struktureller Verbindlichkeit zu kombinieren.

5.4 Zielgruppenfaktoren

Ohne Problemgeschichte über z.B. Gewalt, bleibt die soziale Adresse (Personen) der Zielgruppe eher unbestimmt, im Gegensatz zur Behandlung. Bei der Bestimmung von Zielgruppenfaktoren von Maßnahmen ist es wichtig, der Diversität von Personen Rechnung zu tragen und zu prüfen, ob eine Spezifizierung der Maßnahme nötig wird.

Es geht dem Autor um ein Management derjenigen Aspekte der sozialen Adressen der Zielgruppen, die für die präventiven Maßnahmen von Bedeutung sind. (Hafen, 2007)

Weiters ist der Kontext, wo Präventionsmaßnahmen stattfinden, ein relevanter Aspekt zur Zielgruppenbestimmung. Auch Risikofaktoren stehen in engem Zusammenhang mit der Zielgruppenbestimmung (z.B. bei missbrauchten Burschen besteht das Risiko, dass sie ebenfalls missbrauchen werden). Studienergebnisse mit einzubeziehen ist relevant, jedoch ist anzumerken, dass hier die Gefahr einer Stigmatisierung bei zu schwacher Konturierungsleistung von Risikofaktoren besteht (90 % der Zielgruppe missbrauchter Burschen begehen keinen Missbrauch). (Salter et al, 2003, zitiert nach Hafen, 2007)

Daher ist der Blick in der Prävention, bei Präventionsmaßnahmen von Hochrisikogruppen, ebenfalls auf Schutzfaktoren zu lenken. Somit können die Begriffe Risikofaktoren und Schutzfaktoren als zwei Seiten einer Unterscheidung erfasst werden. Der Begriff Schutzfaktor wird als eine Reaktion auf einen aktiven Risikofaktor definiert. Auch fehlende Schutzfaktoren können zu aktiven Risikofaktoren werden. Hier kommt der umfassenden Risiko- und Schutzfaktorenanalyse insofern eine Bedeutung zu, als dass eine Quantifizierung eines Zusammenhanges zwischen einem Faktor und einem Effekt gegeben sein muss und wie sich die Risiko- und Schutzfaktoren im Lauf der Zeit verändern.

Das Alter stellt einen personalen Faktor bei der Formulierung von Präventionsmaßnahmen dar. Eine strukturelle Rahmenbedingung stellt in diesem Zusammenhang z.B. die Schulpflicht dar, somit ist gesichert, dass alle Kinder mit Präventionsmaßnahmen erreicht werden könnten. Einerseits, meint Hafen, soll der Beginn von Präventionsmaßnahmen (Familienpolitik, Elternbildung, Kleinkinderpädagogik) möglichst früh einsetzen, andererseits ist es für etwaige Interventionen nie zu spät. So wie das Alter spielt natürlich auch das Geschlecht eine Rolle bei Präventionsmaßnahmen, wobei zwischen biologischem Geschlecht (sex) und sozialem Geschlecht (gender) unterschieden wird.

„Die Merkmale des biologischen Geschlechts stellen für die Kommunikation und die Psyche genauso einen Umweltfaktor dar wie die soziale und psychische Konstruktion des Geschlechts für den Körper.“
(Hafen, 2007, S 310)

Relevant sind diese Aspekte für die Ausgestaltung von Präventionsmaßnahmen, da die Leitunterscheidung männlich/weiblich professionell beobachtet und mitaktualisiert wird. Hafen weist darauf hin, dass es oft weniger ein Gender- als ein Diversity- Mainstreaming braucht. Bei der ethnischen Zugehörigkeit ist die Leitunterscheidung für den Zielgruppenfaktor weit komplexer, da es neben der Unterscheidung Inländer/Ausländer auch um die Kultur und die sich dadurch ergebenden Probleme mit einer anderen Kultur geht. In der inter- bzw. transkulturellen Kommunikation liegt die Herausforderung darin, dass beide Kulturen eine Chance darin sehen, normative Strukturen zu verändern.

Auch die sozio- ökonomischen Unterschiede sind als Zielgruppenfaktoren beschrieben, wobei mehr die Unterscheidung arm/reich, niedriger/hoher Bildungsstand und weniger die ethnische Herkunft für Probleme (z.B. das vermehrte Problemvorkommen Gewalt) verantwortlich sind. Besonders dieser Aspekt von Systemen kann beeinflussen und beeinflusst werden. Prävention kann sich an spezifische Risikogruppen richten, wobei sie die aus der sozio - ökonomischen Stellung erwachsenen Risikofaktoren bekämpft und Schutzfaktoren fördert.

5.5 Wirkungsvolle Prävention

  • Die Wirkungsmessung muss den Nachweis erbringen können, dass die Einflussfaktorenbearbeitung erfolgreich war (qualitätssichernde Maßnahmen, mittels deren das Problem zu verhindern versucht wurde).
  • Präventionsmaßnahmen sollen sich nicht nur an ein Individuum (als Verhaltensprävention), sondern auch an die Umwelt der relevanten Individuen (als Verhältnisprävention) richten.
  • Wenn gesetzliche Regelungen und behördliche Verfügungen sich durchsetzen können, versprechen sie die größte Wirkung für die Prävention.
  • Maßnahmen bei Familien und Peer- groups anzusetzen. Hier merkt Hafen einschränkend die hohe Autonomie der Familien in der westlichen Kultur an.
  • Die Aspekte zur Methodik und der Zielgruppenorientierung wurden schon ausreichend behandelt.
  • In Bezug auf Wirkung sieht Hafen die Frühbehandlung/Früherkennung,
  • in der der Fokus nicht nur auf die Behandlung der zahllosen Einflussfaktoren auf ein Phänomen,
  • sondern an der Person ansetzt, von Vorteil.
„Damit wird einerseits die Beliebigkeit, die der Prävention bisweilen eigen ist, massiv eingeschränkt; andererseits kann eine funktionierende Früherkennung dazu beitragen, dass ein Problem einfacher und wirkungsvoller behandelt werden kann, als wenn es sich schon massiv entwickelt und Folgeprobleme generiert hat“.
(Hafen, 2007, S 326)

Zusammenfassend merkt Hafen an, dass es keine gesamte Beschreibung der Prävention gibt, sondern eine Zusammenfassung einiger zentralen Punkte vorgenommen wird, wobei er die systemtheoretische Beschreibung als eine Theorie präventiver Maßnahmen als seinen Beitrag für die Praxis geleistet sieht. Um die Wirkung der präventiven Maßnahmen wahrscheinlicher zu machen, gilt es, zentrale Faktoren zu bestimmen. Der Gliederung der Maßnahmen kann nur über die Vielfalt der Angebote aus der Praxis Rechnung getragen werden. Die konkreten „Best practice“- Präventionsprojekte können zur Illustration der theoretischen Auseinandersetzung dienen und schließen Ergebnisse aus der Wirkforschung mit ein.

Gesundheitspolitischer Ausblick